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TV-Kritik/Review: "The Umbrella Academy": Netflix' perfekte Unterhaltungsserie
(15.02.2019)
Wart ihr schon mal so viel von eurer Familie genervt, dass ihr kurzerhand auf den Mond ausgewandert seid? Vermutlich nicht (denn davon hätten wir bestimmt gehört). Anders "Number One", Mitglied der Umbrella Academy, einer Gruppe von übernatürlich begabten Kindern. Die waren einst auf mysteriöse Weise geboren worden, der exzentrische Milliardär Sir Reginald Hargreeves (Colm Feore) hatte sieben von ihnen wortwörtlich "zusammengekauft" und sie bereits seit dem Säuglingsalter trainiert: Sie sollten zu einer Einheit zusammenwachsen, die Verbrechen bekämpft - oder vielleicht auch mehr. Mittlerweile sind die Kinder Anfang 30, seit mehreren Jahren zerstritten und kommen anlässlich des Todes ihres Ziehvaters widerstrebend erneut zusammen. Dabei werden sie in den Kampf gegen das Ende der Welt verstrickt.
Damit sind die Voraussetzungen für die Serie
Der Hauptteil der Handlung dreht sich darum, wie ihre ungewöhnliche - gleichsam gefährliche und von emotionaler Kälte geprägte - Jugend gepaart mit den übernatürlichen Fähigkeiten die Mitglieder der Umbrella Academy geprägt hat und wie sie deshalb jetzt nach Hargraves Tod miteinander umgehen: Welche Animositäten zwischen den (Adoptiv-)Geschwistern herrschen, was ihre Ängste sind, wofür sie sich schämen, welche Geheimnisse sie ihren Geschwistern aus Wut oder Scham vorenthalten.
Nach zwei Tragödien war die "Umbrella Academy" im jungen Erwachsenenalter nach und nach zerbrochen, die einzelnen Mitglieder zogen sich aus der "Academy" - gleichsam das Haus und die Gruppe - zurück und in die Welt hinaus. Eine der Tragödien war der Tod von Number Six, der in der Serie mysteriös bleibt, aber durch eine Gedenk-Statue im Garten präsent ist. Die zweite war das Verschwinden von Number Five (Aidan Gallagher) - der kann durch den Raum springen und wollte sich entgegen der strengen Warnungen von Hargraves auch an Zeitsprüngen versuchen. Wie rebellische Kinder so sind, wagte es der trotzige Number Five trotzdem - womit wir bei dem zweiten Spannungspunkt sind.
Five sprang - und strandete schnell in einer post-apokalyptischen Zukunft, in der die Welt wörtlich "in Trümmern" liegt und er der scheinbar einzige Überlebende ist. Jedenfalls stößt er über Jahre bei seinen Streifzügen durch das Trümmerfeld auf keine weiteren Überlebenden. Allerdings findet er einen Hinweis auf das Datum, an dem alles enden wird. Und als ihm schließlich die Rückkehr gelingt, landet er an einem markanten Punkt: Genau bei der Trauerfeier der fünf verbliebenen "Umbrella Academy"-Mitglieder und acht Tage vor dem Weltuntergang.
Doch da die angestauten Emotionen der Geschwister gerade dort über die Frage explodieren, ob ihr Vater von einem seiner Kinder ermordet worden sein könnte, macht sich Five zunächst auf eigene Faust auf die Suche nach einer Möglichkeit, den Weltuntergang zu verhindern - er weiht nur "Außenseiterin" Number Seven - Vanya - ein. Die verdankt diese Rolle unter den Geschwistern mittlerweile nicht mehr nur der Tatsache, dass sie keine Kräfte zeigt, sondern dass sie auf der Suche nach der eigenen Besonderheit schließlich eine Biografie veröffentlicht hatte - gleichsam ein Enthüllungsbuch über die "Umbrella Academy".
Dass in der Hargraves-Familie jeder seine Geheimnisse hat, wird dadurch untermauert, dass Five - obwohl er äußerlich seit seinem Verschwinden keinen Tag gealtert scheint - mittlerweile fast 20 Jahre mehr auf dem Buckel hat, als die Geschwister. Und er hat weit mehr erlebt, als er selbst in offenen Momenten zu erzählen bereit ist. So setzt sich das ungleiche Killer-Duo Hazel (Cameron Britton) und Cha-Cha (Mary J. Blige) auf seine Spur, um aus zunächst unerklärlichen Gründen zu versuchen, ihn zu liquidieren...
"The Umbrella Academy" versteht es, das Mundane mit dem Ungewöhnlichen zu kombinieren. Die Probleme der Familienmitglieder könnten im Grunde in jeder anderen Familie ähnlich entstehen. Der körperlich massive Number One - Luther - (Tom Hopper) war etwa immer der Anführer, fühlt sich für alle verantwortlich und war auch der letzte, der Hargraves den Rücken kehrte - das klassische Klischee des Erstgeborenen. Sein Bruder Diego (Number Two; David Castañeda) konkurriert mittlerweile mit ihm um die "Anführer"-Position, hält Luther dabei vor, dass er zu lange zum Ummenschen Hargraves gehalten habe, nie seinen eigenen Weg gefunden habe - nachdem Luther Hargraves verlassen hat, hat er sich auf dem Mond versteckt! Beide Brüder sind Kämpfer, wobei Luther mit Muskeln und Gradlinigkeit vorgeht, während Diego Messer wirft (die immer treffen) und zahllose körperliche und seelische Narben davon getragen hat.
Allison (Number Three; Emmy Raver-Lampman) war immer das beliebtere der beiden einzigen beiden Mädchen der Academy - sie schlug aus der Bekanntheit der Familie eine Karriere als Filmstar. Mit ihrer enormen Suggestivkraft kann sie die Reaktion anderer Menschen steuern, kann durch Lügen - mit den Worten "Ich habe das Gerücht gehört, dass..." neue "Realitäten" schaffen. Doch mittlerweile ist ihr schmerzhaft bewusst, dass sie ihre Kraft rücksichtslos eingesetzt hat und ihr Leben im wahrsten Sinn "auf Lügen" aufgebaut ist, von denen sie manche nicht ungeschehen machen kann. Vanya (Ellen Page) ist nach zwischenzeitlicher Berühmtheit aufgrund ihres Buches erneut in die Bedeutungslosigkeit gefallen, hält sich als Violinistin mit Musikunterricht und einem Engagement in einem Orchester über Wasser, schluckt Antidepressiva.
Number Four - Klaus - (Robert Sheehan) kann Geister sehen und mit ihnen kommunizieren. Bereits als Teenager hat ihn das so verstört, dass er sich vollkommen den Drogen zugewandt hat und mittlerweile Dauergast im gerichtlich verordneten Zwangsentzug ist. Number Five hat nie "einen bürgerlichen" Namen angenommen und wird nach seiner Rückkehr nur "The Boy" genannt, weil er eben in einem 13-jährigen Körper steckt. Number Six - Ben - (Ethan Hwang) bleibt aufgrund seines frühen Todes mysteriös. Er schien aber unter seiner Fähigkeit zu leiden, menschliche Gegner auf äußerst blutige Weise zu besiegen.
Eingestreut in die Handlung sind immer wieder kleine, charmante Skurrilitäten. Etwa, dass Number Five bei seiner Rückkehr eben nur auf seine alte Kleidung zurückgreifen kann und daher nur in Schuluniform herumläuft. Daneben hatte die lange Einsamkeit für ihn auch überraschende psychische Folgen. Die Killer Cha-Cha und Hazel maskieren sich mit mit albernen, kugelartigen Tiermasken, die halt einfach enorm Comicartig wirken. Auch der enorm muskulöse Number One erinnert im Erscheinungsbild ein bisschen an Versuche, einen Homer Simpson oder Peter Griffin in die Realität zu holen.
Insgesamt könnte man "The Umbrella Academy" vorwerfen, dass die Serie nichts wirklich Neues liefert. Was ihr aber enorm gut und unterhaltsam gelingt, ist, Bekanntes in interessanter Form neu zusammenzusetzen und wie aus einem Guss wirken zu lassen: Die Production-Values und Optik stimmen, die Geschichten der Protagonisten wirken durchdacht und erstaunen immer wieder mit tiefen Einblicken in die Ängste der Kinder der "Academy", die Darstellerleistungen sind allerdings lediglich "in Ordnung" (Sheehan und Gallagher ragen hervor). Insgesamt liefert "The Umbrella Academy" eher ein langsames Tempo, um die komplexen Zusammenhänge aus Gegenwart und Vergangenheit der "Academy" zu etablieren, liefert dabei aber im rechten Tempo immer wieder neue Puzzlestücke, die den Zuschauer mit neuen Konsequenzen und Möglichkeiten fesseln und nach und nach ein stimmiges Gesamtbild geben. Ein wenig stört, dass die Serie überhaupt nicht auf das Schicksal der 35 anderen "Geschwister" eingeht, also jene Kinder, die nicht bei Hargraves gelandet sind. Überhaupt bleiben links und rechts der Haupthandlung zahlreiche Fragezeichen offen, die man gerne gelöst sehen will.
Auch wenn die Serie dabei vor manchen emotionalen Tiefschlag nicht zurückschreckt - etwa als Hargraves den jungen Klaus in eine Gruft sperrt, damit er sich dort mit den Geistern und seinen Kräften vertraut macht, der Junge aber panisch vor der Erfahrung zurückschreckt - so bleibt "The Umbrella Academy" doch insgesamt im Comichaften und spart dunklere Dinge aus. So wird Klaus' Drogensucht hinter Komik verklärt, spart man beim Coming-of-Age der Academy-Mitglieder das Sexuelle weitgehend aus. Und überhaupt spielt die Serie ja in einer Welt der Superhelden, wo viele Personen "unverletzlich" sind und die Toten als Geister weiterexistieren.
Wie schon weiter oben gesagt: "The Umbrella Academy" verbindet gekonnt das mundane des Geschwisterzwists mit dem Kampf gegen mysteriöse Killer und den Untergang der Welt - und liefert dabei fesselnde Unterhaltung auf hohem Niveau. Dass es dabei nicht zu düster wird, erscheint hier eher als ein "Feature" denn ein "Bug".
Dieser Text basiert auf Sichtung der ersten fünf Episoden der Serie "The Umbrella Academy".
Bernd Krannich
© Alle Bilder: Netflix
Die erste Staffel der Comicadaption "The Umbrealla Academy" umfasst zehn Episoden und wurde am 15. Februar 2019 komplett bei Netflix veröffentlicht.
Trailer zu "The Umbrella Academy"
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