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TV-Kritik/Review: "The Underground Railroad": Amazons Romanverfilmung findet schwer in die Spur
(13.05.2021)
Manchmal bietet es sich einfach an, eine Metapher wörtlich zu nehmen. Die Underground Railroad, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts etwa 100.000 Sklaven in den USA zur Flucht aus den Süd- in die Nordstaaten oder nach Kanada verhalf, hatte in der Realität nichts von einer Eisenbahnlinie. Vielmehr war es ein Netzwerk von Fluchthelfern, geheimen Routen und sogenannten Safe Houses, in denen entflohene Sklaven unterschlüpfen konnten. In seinem 2016 erschienenen Roman
In zehn Episoden von unterschiedlichen Längen zwischen 20 und 70 Minuten erzählt Oscarpreisträger Barry Jenkins (
Aber von Anfang an: Als Kind wurde Cora von ihrer Mutter verlassen. Der gelang nämlich die Flucht von der Baumwollfarm, auf der auch Cora viele Jahre später noch ihr Dasein fristet. Harte Arbeit, Gewalt und Demütigungen durch die Weißen Herren bestimmen den Alltag. Obwohl sie sich des Risikos eines missglückten Fluchtversuchs durchaus bewusst ist, ist Coras Maß eines Tages voll: Die grausame Hinrichtung eines Leidensgenossen durch Verbrennen bringt das Fass des für sie Erduldbaren zum Überlaufen. Gemeinsam mit dem etwas älteren Sklaven Caesar (Aaron Pierre), der neu auf der Plantage angekommen ist und ihr von der Underground Railroad erzählt, wagt sie es in der Nacht, den gefährlichen Trip anzutreten. Am Ende der Auftaktepisode begeben sich die Beiden durch einen verborgenen Einstieg zum ersten Mal wortwörtlich in den Untergrund, in einen von anderen Sklaven ausgehobenen Schacht unter der Erde, in dem schon bald darauf eine Dampflokomotive samt angehängten Waggons einfährt und sie mitnimmt.
Diese erste, mehr als einstündige Episode kommt trotz aller Drastik der geschilderten Alltagsqual der Schwarzen Plantagenbewohner nur schwerfällig in Gang. Das mag hauptsächlich daran liegen, dass man inzwischen schon viele ähnliche Filme oder Serien gesehen hat. Auch das Thema der Underground Railroad wurde bereits vor einigen Jahren einmal in Form einer TV-Serie aufgegriffen: 2016/17 in
Insgesamt wesentlich interessanter ist die zweite Episode, die mit einem krassen Zeit- und Ortssprung beginnt: Cora und Caesar leben anscheinend schon eine ganze Weile in einer Kleinstadt in South Carolina, wo es ihnen augenscheinlich viel besser geht als in Atlanta. Beide haben feste Arbeit, wenn auch eher unbefriedigender Natur (sie stellt in einem skurrilen "Menschen-Museum" hinter einer Glasscheibe für die gaffenden Weißen Besucher ihr vorheriges Leben als Baumwollpflückerin nach, er schuftet hart in einer Mine), können sich frei in der Stadt bewegen und werden von der scheinbar aufgeklärten Weißen Bevölkerung freundlich, wenn auch etwas bevormundend behandelt. Cora kann sogar zur Schule gehen und gemeinsam mit anderen Schwarzen Frauen Lesen und Schreiben lernen.
Doch langsam wächst nicht nur bei den Zuschauern der schreckliche Verdacht, dass hinter dieser wohlwollenden Fassade irgendetwas Abseitiges vor sich geht: Warum sieht man in der ganzen Stadt keine Schwarzen Babys, was sind das für "Vitamine", die alle Kunden im Gemischtwarenladen des Schwarzen Händlers geschenkt bekommen und warum will der freundliche Weiße Frauenarzt Cora überreden, sich eine Spirale einsetzen zu lassen? Die bittere Auflösung der Folge zeigt: Rassismus hat viele Gesichter und die subtileren Spielarten können fast noch grausamer sein als die offensichtlichen. Leider kann die dritte Episode diese hohe Intensität der Erzählung und Inszenierung dann wieder nicht halten.
Von der Erzählweise und technischen Machart erinnert "The Underground Railroad" stark an (frühe) HBO-Serien: Der Tonfall ist betont getragen, die Handlung schreitet nur langsam voran, es wird viel geredet und manche Szenen wirken auch redundant. Gleichzeitig wurde sehr viel Wert auf authentische Ausstattung und Kostüme, ebenso authentische Dialekte und Soziolekte der verschiedenen Figuren(gruppen) und eine kinohafte, etwas zu gediegene Bildgestaltung gelegt. Die tragenden SchauspielerInnen sind allesamt hervorragend und wurden international besetzt, von der Südafrikanerin Thuso Mdedu bis zum Afro-Briten Aaron Pierre. Das Fantasyelement der unterirdischen Bahnverbindungswege zwischen den einzelnen Fluchtstationen, das der Geschichte über die Abbildung der historischen Verhältnisse hinaus eine faszinierende Metaebene verleiht, kommt in den ersten Folgen leider etwas zu kurz.
Wie meistens, wenn man einen epischen Roman filmisch adaptiert, führt das zu größeren Herausforderungen für die Zuschauer: So kommen die inhaltlichen Sprünge zwischen den einzelnen Kapiteln, sprich Episoden ziemlich unvermittelt. Es dauert dann jeweils ungefähr die Hälfte der Laufzeit, bis man richtig verstanden hat, was in dem neuen Setting vor sich geht und welche Rolle Cora darin einnimmt.
Ein richtiger erzählerischer Fluss kommt daher zumindest zwischen den ersten Folgen nicht auf. Vielmehr wirkt die Miniserie wie eine Anthologie unterschiedlichster kleiner Milieustudien, die im Grunde auch für sich stehen könnten. Zusammengehalten werden sie vom Schicksal und vom Überlebenskampf der Hauptfigur, einer verletzlichen, aber auch selbstbewussten Frau. Diese starke Figur und auch die Grundidee, die historische Metapher wörtlich und dennoch ernst zu nehmen, bieten hohes Potential. Ganz entfaltet wird es in den Auftaktepisoden aber leider noch nicht.
Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten drei Episoden der Miniserie "The Underground Railroad".
Die komplette, zehnteilige Miniserie "The Underground Railroad" ist ab Freitag, den 14. Mai bei Amazon Prime Video verfügbar.
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