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TV-Kritik/Review: 11.22.63 - Der Anschlag
(14.03.2016)

Stephen King ist ein Schriftsteller mit bemerkenswertem Output - ebenso zahlreich sind die Verfilmungen seiner Werke, bei denen bekanntlich auf jeden Hit mindestens fünf Nieten kommen. Auch die Umsetzungen fürs Fernsehen blieben selten in guter Erinnerung, und nach wie vor wartet die Welt auf eine King-Serie:
Die Hulu-Produktion
Tatsächlich: Schon der 80-minütige Pilotfilm, inszeniert von einem weiteren Oscar-Preisträger (Kevin MacDonald), versteht es bestens, den süffigen Erzählstil aus Kings Pageturnern direkt in Serie zu übersetzen. Die Produktionswerte (besonders die Kamera) des Achtteilers sind durchweg exzellent, die Ausstattung der Sixties-Szenen etwa wurde nie zum Deko-Overkill. Vor allem aber gelingt es Carpenter überraschend gut, die Konstruktion des Romans mit seinen grundlegenden Spielregeln (und nicht unproblematischen Motivationsprämissen) in eine filmische Handlung zu übersetzen.
Entworfen wird ein klassisches, als Zeitreisefabel verpacktes Was-wäre-wenn-Szenario: Was wäre, wenn man in der Zeit zurückreisen und Dinge ändern könnte? Wie würde sich der Schmetterlingseffekt auf die Gegenwart auswirken - privat und gesellschaftlich? Was geschähe, würde man weltbewegende Geschehnisse verhindern wollen - die Ermordnung John F. Kennedys zum Beispiel, am titelgebenden Freitag, dem 22. November 1963, in Dallas, Texas?
In die Situation, sich dieser Frage im angewandten Konjunktiv stellen zu müssen, stolpert der fusselbärtige Lehrer Jake Epping (Franco) aus Lisbon Falls in Maine: Tagsüber scheitert der in Scheidung lebende Enddreißiger an ignoranten Highschool-Kids, abends unterrichtet er Erwachsene. Und eines Tages verschwindet dann Al Templeton (stark: Cooper), der Besitzer seines Lieblings-Diners, für zwei Minuten in der Küche und kommt dann, eben noch gesund, von Krebs gezeichnet wieder heraus: Was ist passiert? Anstelle einer Antwort schickt Al Jake in seinen begehbaren Küchenschrank - aus dem der Lehrer in eine belebte Straßenszenerie im Jahr 1960 stolpert. Zurück in der Wirklichkeit wird der perplexe Jake (und mit ihm das Publikum) aufgeklärt: Jeder, der durch den Schrank tritt, landet um 11.58 Uhr am 21. Oktober 1960 in der Vergangenheit von Lisbon Falls. Geht es dann wieder "zurück in die Zukunft", hat man, egal wie lange man sich in der Vergangenheit aufhielt, in der Gegenwart nur zwei Minuten Lebenszeit verpasst. Tritt man erneut in den Schrank, ist es dann wieder exakt 11.58 Uhr an jenem 21. Oktober 1960.
Dass sich Jake auf diese ungeheuerliche Sache einlässt, wird eher dünn motiviert, nichtsdestotrotz gelingt es Carpenter, Jakes Unzufriedenheit mit der eigenen Lebenssituation in wenigen kurzen Szenen durchaus eindrücklich zu skizzieren. Und ist diese dramaturgische Kröte erst einmal geschluckt, befindet sich die Serie sofort in medias res. Jake wird mitten ins Amerika von 1960 geworfen, und frisch rasiert sowie beim Herrenausstatter mit Anzug und Hut versorgt, kurvt Jake im zitronengelben Cadillac von Maine durch die von Rassentrennung geprägten Südstaaten nach Texas: Das Smartphone landet im Fluss, Geld wird per Sportwette erspielt (die Ergebnisse hat Al fürsorglich für ihn notiert), und im Autoradio sorgen Paul Evans, die Zodiacs und Bo Diddley für zeittypische Begleitmusik.
Als Jake dann erste Nachforschungen anstellt und dem (historischen) Industriellen und späteren Oswald-Freund George de Mohrenschildt bei einem verdächtigen Treffen mit der CIA hinterherspioniert, bemerkt er sehr schnell, wer bei dieser Unternehmung sein größter Feind sein wird: die Vergangenheit selbst. Jede Kleinigkeit, die er an den Zeitläuften verändert, wird Konsequenzen haben, und zwar selten erfreuliche. Am schönsten (und unübersetzbarsten) drückt das Al in einer frühen Warnung aus: "If you do something that really fucks with the past, the past fucks with you!" In "11.22.63" mischt sich die Gegenwart also nicht nur in die Vergangenheit ein, auch die Fiktion spielt mit der Zeitgeschichte - und umkreist werden dabei jene (Verschwörungs-)Theorien, die man zum Beispiel aus Oliver Stones Film "JFK" kennen kann.
Nach der ersten Katastrophe, die sich aus dieser Kollision ergibt, will Jake den Auftrag abbrechen, dann aber erinnert er sich an den ältlichen Hausmeister Harry Dunning aus seinem Kurs an der Abendschule: Der hatte von Halloween 1960 erzählt, als sein brutaler Vater seine Mutter und Geschwister tötete. In einer eigentlich recht unmotivierten, dramaturgisch aber erneut nicht ungeschickt eingefädelten Wendung entschließt sich Jake, wenigstens diese eine Sache zu "korrigieren". Die zweite Episode lässt den Kennedy-Plot deshalb komplett außen vor, um stattdessen davon zu erzählen, wie Jake Harry Dunnings gewalttätigen Vater (schön fies: Duhamel) von der Bluttat abzuhalten versucht. Dieses grimmige, atmosphärisch stimmige Schurkenstück zwischen Schlachthof und Kneipe hätte sich auch als
Überhaupt wird Franco von sehr tollen Nebendarstellern flankiert - die langen Monologe von Leon Rippy (als Harry Dunning) und
Wer den Roman kennt, weiß, wie sich Oswald-Plot, Liebesgeschichte und alternative Zeitläufte entwickeln und wird schon bald feststellen, dass Carpenter einige Änderungen vorgenommen hat. Dennoch ist schnell klar, dass "11.22.63" zu den gelungenen King-Umsetzungen zählt, was nicht nur, aber vor allem an der sorgfältigen Inszenierung und an den sehenswerten Darstellern liegt. Die Logikprobleme, die eigentlich allen Zeitreisegeschichten anhaften (Warum, zum Beispiel, ist Jake nicht mutiger bei seinen Eingriffen, wenn er doch zur Not jederzeit alles "resetten" kann?), bleiben allerdings auch diesmal ungelöst.
Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten beiden Episoden von "11.22.63".
Gian-Philip Andreas
© Alle Bilder: Hulu
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