Das Film- und Fernsehserien-Infoportal

Log-In für "Meine Wunschliste"

Passwort vergessen

  • Bitte trage Deine E-Mail-Adresse ein, damit wir Dir ein neues Passwort zuschicken können:
  • Log-In | Neu registrieren

Registrierung zur E-Mail-Benachrichtigung

  • Anmeldung zur kostenlosen Serienstart-Benachrichtigung für

  • E-Mail-Adresse
  • Für eine vollständige und rechtzeitige Benachrichtigung übernehmen wir keine Garantie.
  • Fragen & Antworten

TV-Kritik/Review: Broadchurch

TV-Kritik zum britischen Straßenfeger - von Gian-Philip Andreas
(09.09.2013)

Die Idylle der Kleinstadt Broadchurch wird durch den Mord an einem kleinen Jungen durcheinander gebracht.
Die Idylle der Kleinstadt Broadchurch wird durch den Mord an einem kleinen Jungen durcheinander gebracht.


Ein Junge steht auf einer Klippe. Es ist nachts, tief unter ihm liegt der Strand. Blut tropft von seinen Händen, schließlich kippt die Kamera nach unten, dem Sand entgegen: So beginnt  "Broadchurch", ein achtteiliges Crime-Drama des britischen Networks ITV, das in diesem Jahr so viel Anklang fand, dass inzwischen nicht nur (entgegen ursprünglicher Absicht) eine zweite Staffel, sondern auch ein amerikanisches Remake in Auftrag gegeben wurde.

Dabei ist "Broadchurch" ein relativ klassisch konzipierter Ensemblekrimi auf strikten "Whodunit"-Spuren: Ein Hauch von  "Cluedo", Sherlock Homes und Hercule Poirot weht ebenso durch die Folgen wie die provinzbritischen "Midsomer Murders" eines Detective Barnaby. Doch "Broadchurch" geht nicht nur durch seinen ausgeprägten medienkritischen Einschlag darüber hinaus. Man darf zum Beispiel auch getrost an  "Twin Peaks" denken - weil hier wie dort der Tod eines jungen Menschen die vermeintlich geordneten, aber unter der Oberfläche maroden Verhältnisse einer pittoresken Kleinstadt-Community aufwirbelt. Allerdings steht an Stelle der exzentrischen Inszenierung von David Lynch und Mark Frost hier eher elegisch-melancholische Langsamkeit.

Serienschöpfer Chris Chibnall (der zuvor als Autor von  "Doctor Who" und dessen Ableger  "Torchwood" reüssierte) schrieb sich das Szenario praktisch vor die eigene Haustür: Die Serie spielt in dem fiktiven, titelgebenden Örtchen Broadchurch an der berühmten südenglischen "Jurassic Coast" in der Grafschaft Dorset, in deren Nähe Chibnall lebt. Dort, in West Bay, stehen auch die beeindruckend-beängstigenden Steilklippen, die nicht nur optisch eine wichtige Rolle in der Serie spielen.

Grob lässt sich das Personal von "Broadchurch" in vier Figurengruppen unterteilen: Zunächst ist da die Familie Latimer, deren elfjähriger Sohn Danny zu Beginn der Pilotfolge tot am Strand gefunden wird. Um sie herum schwirren die anderen Dorfbewohner umher, denen schnell unterschiedliche Verdächtigkeitsgrade beigemessen werden können. Hinzu kommen Journalisten, die für eine ganz neue Eigendynamik der Ereignisse sorgen. Und natürlich - die Ermittler. Sie sind die Hauptpersonen und präsentieren sich als solche erwartbar, aber reizvoll gegensätzlich.

Erwartbar ist es, weil hier jemand von außen, ein Detective-Veteran mit schlimmer Vorgeschichte, auf jemanden von innen trifft, auf eine lokale Kommissarin, die mit den Bewohnern (und damit Verdächtigen) bekannt und verbandelt ist. Natürlich hassen sich die beiden anfangs, weil sich der Externe, Alec Hardy, unnahbar, missmutig und arrogant gibt, und sich die Kollegin (frisch aus dem Mutterschutz zurück) übergangen fühlt, weil ihre Vorgesetzte die Leitung des Falls an Alec übergibt.

Reizvoll hingegen ist die Kombi wegen der Darsteller - denn die spielen die beiden zur Zusammenarbeit verdammten Kollegen hinreißend "quirky". Der schlaksige Schotte David Tennant (er war "Doctor Who" von 2005 bis 2010) läuft als Alec Hardy mit Hipster-Pony herum wie eine übellaunige Mischung aus dem Sänger von Franz Ferdinand und  "Dr. House". Mit dem Gehstock-Arzt und Sherlock-Holmes-Wiedergänger der berühmten Medizinerserie teilt er den Zynismus, nicht aber unbedingt Humor und Charme: Es gehört Mut dazu, eine Hauptfigur ins Zentrum der Ermittlungen zu setzen, die es dem Publikum von Anfang an schwer macht. Wie House geht es Hardy auch körperlich schlecht, Schmerzen und Ohnmachtsanfälle sind die Folge: Man weiß anfangs nicht, was dahinter steckt, Panikattacken vielleicht? Hängt dies mit seiner Vorgeschichte zusammen, über die anfangs nur geraunt wird? Offenbar war Hardy mit dafür verantwortlich, dass ein Mörder freigelassen werden musste. Fürs erste reicht die Info: Hardy ist traumatisiert. Und er macht sich keine Freunde.

Das ungleiche Ermittlerpaar Ellie Miller (Olivia Colman) und Alec Hardy (David Tennant).
Das ungleiche Ermittlerpaar Ellie Miller (Olivia Colman) und Alec Hardy (David Tennant).

Vor allem nicht die Kollegin - auch sie eine hochinteressante Figur. Gespielt wird sie von Olivia Colman, einer formidablen Schauspielerin, die ich persönlich einzig, aber sehr nachdrücklich als waidwunde Christenfrau aus dem Indie-Hit "Tyrannosaur" in Erinnerung habe. Vor allem eins ist sie nicht: ein dekoratives Oberflächenmädchen. Colman spielt Detective Sergeant Ellie Miller, Mutter zweier Kinder, ebenso patent wie emotional, enttäuscht vom Karriererückschritt, entsetzt vom Schicksal der gut befreundeten Familie, irritiert von Hardy. Immerhin: Ehemann Joe steht ihr als treu sorgender Hausmann zur Seite.

Mit ihr als Leitfigur geht's also hinein ins Dickicht des Städtchens Broadchurch. Verdächtige gibt es genug. Die unwirsche Trailer-Park-Lady Susan (Pauline Quirke) etwa, eine herrlich verschrobene Figur, die meist allein mit ihrem Hund spazieren geht, den Schlüssel zu einer ominösen Hütte besitzt, das Skateboard des Toten versteckt hält, ein Doppelleben führt und Nachschnüffelnden mit folgenden Worten droht: "Ich kenne Männer, die Sie vergewaltigen würden." Oder der grimmige Zeitschriftenhändler Jack, der mal wegen sexueller Belästigung eines Minderjährigen verurteilt wurde und jedem  "Game of Thrones"-Kenner schon alleine deswegen Schauer über den Rücken jagt, weil er von David "Walder Frey" Bradley gespielt wird. Und was ist eigentlich mit dem so betont arglosen Pfarrer? Liegt es wirklich nur an seiner chronischen Schlaflosigkeit, dass man ihn nachts so oft umhergeistern sehen kann?

Aber auch die netten Broadchurcher haben ihre Geheimnisse. Klempner Mark Latimer etwa, Vater des Toten, erfindet ein Alibi, um seine Affäre mit der örtlichen Hotelbesitzerin zu vertuschen. Auch sein netter Mitarbeiter Nigel scheint etwas zu verheimlichen. Dannys Schwester Chloe versteckt Kokain im Kinderzimmer und hat Sex mit einem deutlich Älteren. Und warum löscht ausgerechnet Tom, Sohn der Kommissarin, panisch seine Festplatte und alle SMS, die er von Danny erhielt? Mittendrin in diesem vielstimmigen Geheimnisgefüge steht niedergeschmettert Beth, Dannys junge Mutter, gespielt von der wunderbaren Jodie Whittaker ("Attack the Block"). Ihres Zweitgeborenen beraubt (und zum dritten Mal schwanger), wird sie empfänglich für die Jenseitsbotschaften des angeblichen Mediums Steve, eines Sonderlings, den vor allem Hardy auf dem Kieker hat.

In gemächlichem, aber nie zögerlichem Tempo baut "Broadchurch" seine kunstvoll unheilschwangere Atmosphäre auf. Chibnall und Team tarieren die teils ruppigen dialogischen Auseinandersetzungen mit oft zeitlupenunterstützten "Mood Pieces" aus, mit wortlosen Stimmungsszenen also, die in der ebenso rauen wie romantisch-schönen Landschaft der südenglischen Küste schwelgen. Dazu wehklagt dann mollfinstere Kammermusik mit Cello und Elektrobass.

Als zusätzliche Ebene - vielleicht inspiriert durch die letztjährigen Verwerfungen im britischen Boulevardpresseskandal - drängen sich schließlich die Medien in den Plot. Anfangs ist es nur der junge Lokalreporter Olly (Jonathan Bailey), Ellies Neffe, der die Mordnachricht gegen den Wunsch der Polizei per Twitter in die Welt setzt. Dann aber erschleicht sich die ehrgeizige Journalistin Karen (Vicky McClure aus den "This is England"-Filmen) mit einem Trick ein erstes Interview mit Beth, das groß im nationalen 'Daily Herald' erscheint - und bald einen Rattenschwanz von Paparazzi aus dem ganzen Land ins Dörfchen schleppt.

Zur Halbzeit der Serie hält Chibnall die Spannung erfreulich hoch: Wie wird sich die Eskalationsdramaturgie aus Medieneinmischung und Verdächtigungsklima in den weiteren Folgen entwickeln? Vertrauenswürdigen Stimmen zufolge soll die finale Auflösung selbst Krimi-Profis überraschen. Das würde passen zur Strategie der Serie, einen Krimiplot zugleich konventionell und "mit Twist" zu erzählen. Die Hymnen jedenfalls, die im Vereinigten Königreich auf den ersten Run von "Broadchurch" gesungen wurden, scheinen mir unbedingt gerechtfertigt.

Dieser Text basiert auf Sichtung der ersten vier Folgen von "Broadchurch".

Meine Wertung: 4/5


Gian-Philip Andreas
© Alle Bilder: ITV


 

Über den Autor

Gian-Philip Andreas hat Kommunikationswissenschaft studiert und viel Zeit auf diversen Theaterbühnen verbracht. Seit 1997 schreibt er für Print und online vor allem über Film, Theater und Musik. Daneben arbeitet er als Sprecher (fürs Fernsehen) und freier Lektor (für Verlage). Für TV Wunschliste rezensiert er seit 2012 Serien. Die seiner Meinung nach beste jemals gedrehte Episode ist Twin Peaks S02E07 ("Lonely Souls") ­- gefolgt von The Sopranos S03E11 ("Pine Barrens"), The Simpsons S08E23 ("Homer's Enemy"), Mad Men S04E07 ("The Suitcase"), My So-Called Life S01E11 ("Life of Brian") und selbstredend Lindenstraße 507 ("Laufpass").

Beitrag melden

  •  

Leserkommentare