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TV-Kritik/Review: Deutschland 83

RTLs DDR-Spionagedrama vorab bei SundanceTV - von Gian-Philip Andreas
(29.06.2015)

Ost-Spion bei der Bundeswehr: Martin Rauch (Jonas Nay, r., mit Ludwig Trepte)
Ost-Spion bei der Bundeswehr: Martin Rauch (Jonas Nay, r., mit Ludwig Trepte)


Drittes Reich und DDR: Das geht ja immer im deutschen Film und Fernsehen, besonders, wenn es sich international verkaufen soll - vom Führerbunker-Kammerspiel "Der Untergang" über den oscarprämierten Lauschangriff-Hit "Das Leben der Anderen" bis hin zum Emmy-geadelten Dreiteiler  "Unsere Mütter, unsere Väter". Spezialist für derartige Nazi-oder-Stasi-Stoffe ist Produzentenzampano Nico Hofmann von der UFA Fiction. Kaum ein west-, ost- oder gesamtdeutsches Drama ist vor ihm sicher, vom Dresdener Bombenhagel bis zum explodierenden Luftschiff kriegt dabei noch jede Katastrophe eine schmalzhubernde Romanze in den Plot gedrückt.

Wenn jetzt also mal wieder eine Hofmann-Produktion über Deutschland im Kalten Krieg ansteht, ist Skepsis angebracht: TV-Event-Routine as usual? Dann aber wird schnell klar, dass hier durchaus Neuartiges geschaffen wurde: einer der ersten ernstzunehmenden Versuche nämlich, das neuere serielle Erzählen angelsächsischer Machart auf einen zeitgenössischen deutschen Stoff anzuwenden - nicht als chronologisch-melodramatischen Nachvollzug einer im deutschen Kollektivbewusstsein gespeicherten Tragödie (oder Triumphgeschichte), sondern ganz konsequent als in der Zeitgeschichte grundiertes Genrestück. "Deutschland 83" ist zuallererst ein Agententhriller, ein Spy Movie in acht Episoden. Dessen einnehmende Prämisse lautet: Nimm einen linientreuen Ost-Grünschnabel, verpflanze ihn als falschen Bundeswehrsoldaten in den Westen und beobachte, was passiert!

Ausgedacht hat sich das (zusammen mit ihrem deutschen Ehemann Jörg) die US-amerikanische Schriftstellerin Anna Winger. Die zweite Episode schrieb sie zusammen mit dem britischen Autor Steve Bailie. So deutsch, wie es beworben wird, ist  "Deutschland 83" also gar nicht. Weshalb es auch nicht ganz so absurd erscheint, dass die Serie Monate vor ihrer Ausstrahlung auf RTL erst einmal vom amerikanischen Indie-Sender SundanceTV in die Welt getragen wird - im deutschsprachigen Original. Die ersten zwei Episoden sind im Februar immerhin auf der Berlinale gezeigt und prompt als deutsche Antwort auf den FX-Hit  "The Americans" gelabelt worden.

Das Setting zeigt deutsch-deutsches Spionagewesen in Zeiten internationaler Zuspitzung. Der historische Background fühlt sich beim Ansehen erschreckend aktuell an: 1983 hält US-Präsident Ronald Reagan eine berüchtigte Rede, in der er die Sowjetunion als "Reich des Bösen" bezeichnet, Kanzler Kohl stimmt mit der schwarz-gelben Koalition der Stationierung von Pershing-II-Raketen in der Bundesrepublik zu. Das atomare Wettrüsten zwischen Reagans Amerika und der Post-Breschnew-Sowjetunion droht das "Gleichgewicht des Schreckens" gefährlich in Richtung Dritter Weltkrieg zu verschieben. Und das geteilte Deutschland sitzt mitten drin im Schlamassel - zwischen den Systemen, im Destruktionsradius der Atomraketen.

Die DDR ergreift Maßnahmen: Maria Schrader ("Aimée & Jaguar") schlägt als kettenrauchende Stasi-Agentin Lenora Rauch ihren eigenen Neffen Martin als Spion vor. Der arglose Jungspund, Anfang zwanzig, arbeitet in Berlin als Grenzbeamter, passt aber nahezu perfekt auf das Profil eines Braunschweiger Soldaten, der als neuer Ordonnanzoffizier ins Büro des wichtigen Bonner Bundeswehrgenerals Wolfgang Edel versetzt werden soll. Martin aber lehnt dankend ab, da er seine Freundin Annett (Sonja Gerhardt, "Sommer") nicht verlassen will, weshalb er zunächst mit Schlafmitteln im Kaffee betäubt, dann nach Bonn verschleppt und dort schließlich erpresst wird: Übernimmt er den Spionagejob, sorgt die eisige Lenora im Gegenzug für die adäquate medizinische Versorgung seiner nierenkranken Mutter. Sagt sie.

Der echte Soldat wird im Zug von einer Stasi-Killerin im New-Wave-Look eliminiert, und schon nach kurzer Einarbeitung in die gängigsten Agententätigkeiten sitzt Martin unter dem Tarnnamen "Moritz Stamm" im Vorzimmer besagten Generals. Die Missionen, die er dort zu absolvieren hat, sorgen für die Binnenspannungsbögen jeder Episode: Fotos und Dokumente in Aktentaschen fotografieren, rechtzeitig bevor ein amerikanischer General vom Essen zurückkommt; Wanzen anbringen und wieder entfernen, wenn ein abzuhörender NATO-Oberst (Jens  "Der Adler" Albinus) ungeplant das Hotelzimmer wechselt; einen Safe knacken und übers Dach flüchten; Dinge mithin, die man aus ungezählten Spionagekrimis kennt, die hier aber erstaunlich effektiv Spannung generieren. Das liegt an der temporeichen, uneingeschränkt qualitätsserienreifen Regie (Edward Berger in den Anfangsepisoden), aber auch an der cleveren Prämisse, die Martin eben nicht als Top-Spion ins Werk setzt, sondern als unbedarften Novizen.

So viele Südfrüchte hier: Martin kommt aus dem Staunen nicht raus
So viele Südfrüchte hier: Martin kommt aus dem Staunen nicht raus

Jonas Nay, der seit seinem Fernsehpreis für den Mobbing-Film "Homevideo" offenbar in keinem deutschen Fiction-Projekt über zweifelnde Jungmänner mehr fehlen darf, ist mit seinem kunstvoll ausdruckslosen Buster-Keaton-Gesicht als Martin die ideale Projektionsfigur. Während er sich eingangs, als Grenzer, noch einen Spaß daraus macht, ein paar arglose Bücherschmuggler mit sozialistischem Furor zurechtzuweisen ("Das Privileg des Sozialismus ist die Freiheit von der Geldgier!"), steht er kurze Zeit später im West-Supermarkt stumm vor dem ausladenden Südfrüchteregal, ein Noch-kaum-Erwachsener, losgelassen auf ein Nachkriegs-Westdeutschland, in dem keine Paraden aufmarschieren wie in Ost-Berlin, aber Hotelbesitzer ihre Suiten immer noch damit anpreisen, dass "der Führer" früher gerne darin gewohnt habe. Überzeugend spielt Nay Martins Angst davor, dass die falsche Identität auffliegen könnte - was innerhalb der ersten Episoden gleich mehrfach zu geschehen droht. Selbst den etwas albernen Ausflug in 007-Gefilde, zu dem sich die zweite Episode mit dem Martial-Arts-Auftritt einer chinesischen Mata Hari kurzzeitig versteigt, meistert er erfreulich souverän.

"Sonnenallee"-Star Alexander Beyer pendelt derweil schön lausbübisch zwischen Resignation und Revoluzzergeist als Martins Ost-Kontaktmann, der sich in Bonn als Professor ausgibt und die "Gleichgültigkeit der Masse" als "den wahren Luxus des Westens" enttarnt, Sylvester Groth ("Mein Führer") glänzt als trockenhumoriger Stasi-Agent mit der nötigen Brutalität zum rechten Zeitpunkt. Ulrich Noethen ("Der Untergang") starrt als General Edel nach der Grillparty im heimischen Garten waidwund ins Aquarium und bangt um den Weltfrieden. Auch jenseits des guten Casts gibt es viel, das man an "Deutschland 83" mögen muss - nicht zuletzt den schicken Vorspann, der zu Peter Schillings Hit "Major Tom" ein grafisches Panorama des Kalten Kriegs aufreißt.

Leider aber laboriert auch dieses Prestigeprojekt an einigen jener Krankenheiten, die sich im deutschen Film und Fernsehen einfach nicht auskurieren lassen wollen: an papiernen Dialogen zum Beispiel. Gegen akkurat vorgetragene Berichterstattungen im literarischen Präteritum kommt eben kein noch so guter Schauspieler an, schon gar nicht, wenn die Figuren Namen tragen wie "Tischbier", "Lenora Rauch" und "Schweppenstette". Wieder einmal scheinen zudem weite Teile der Außenszenen nachsynchronisiert worden zu sein - das ist und bleibt tödlich für die behauptete Realitätsnähe. Dann der fatale Hang zum Überdeutlichen, zum Mehrfacherklärten, der dem Zuschauer keine Ambivalenzen und Leerstellen zumuten möchte, der Gut und Böse, Absicht und Zufall säuberlich scheidet und das, was gezeigt wird, stets noch aussprechen lässt. Auch die Fixierung auf den zeitgenössischen Kontext ist übertrieben: Aufs Stichwort werden jeweils die Hits des Jahres 1983 eingespielt, von Nenas "99 Luftballons" über New Orders "Blue Monday" bis zu Eurythmics' "Sweet Dreams". Neue Deutsche Welle, Joachim Witt und Ideal, dazu The Cure, und wenn geflirtet wird, singt David Bowie "Modern Love". Fast scheint es, als wollten die Macher dem Betrachter alle paar Sekunden ins Gedächtnis rufen, in welcher Epoche der Plot angesiedelt ist.

Wie im deutschen Fernsehfilm üblich, muss außerdem jedes mit Zeit, Ort und Milieu verknüpfbare Thema auch rein ins Drehbuch, und sei's nur für den Moment: Da gibt es den netten Generalssohn (Ludwig Trepte, "Unsere Mütter, unsere Väter"), der eigentlich Pazifist ist und Petra-Kelly-Bücher liest, es gibt dessen rebellische Schwester (Lisa Tomaschwesky, "Heute bin ich blond"), die in eine Bhagwan-Kommune flüchtet. Es gibt die Mangelwirtschaft in der DDR, mit deren Umgehung Martin geködert werden soll: Wie wär's mit Plattenbauwohnung und Trabi, so ganz ohne Warteliste? Und mit Medizin für die Mutter? Natürlich laufen überall und pausenlos Original-Fernsehnachrichten, die wohl das Geschehen einordnen helfen sollen.

Zwischen all diesen Zeit-Zeichen und (Pop-)Signalen fällt kaum auf, wie wacklig die Plot-Konstruktion eigentlich ist - denn warum Martin/Moritz sich so vorbildlich daran macht, den ungeliebten Spionagejob möglichst perfekt zu erledigen, erschließt sich nicht wirklich. Aus Treue zum Sozialismus? Eigentlich will er möglichst schnell zurück in die DDR, zu seiner Freundin (die dort, wie man bald erfährt, mit einem anderen Typen anbandelt), doch durch seine nachrichtendienstliche Glanzleistungen hintertreibt er diesen Wunsch. Je besser er sich schließlich anstellt als Spion, desto länger wird Tante Lenora ihn im Westen behalten wollen: ein teuflischer Kreislauf. "Deutschland 83" machen Ungereimtheiten wie diese nicht unbedingt glaubwürdiger. Allerdings auch nicht weniger spannend.

Meine Wertung: 3.5/5


Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten zwei Episoden der Serie.


Gian-Philip Andreas
© Alle Bilder: UFA Fiction


 

Über den Autor

Gian-Philip Andreas hat Kommunikationswissenschaft studiert und viel Zeit auf diversen Theaterbühnen verbracht. Seit 1997 schreibt er für Print und online vor allem über Film, Theater und Musik. Daneben arbeitet er als Sprecher (fürs Fernsehen) und freier Lektor (für Verlage). Für TV Wunschliste rezensiert er seit 2012 Serien. Die seiner Meinung nach beste jemals gedrehte Episode ist Twin Peaks S02E07 ("Lonely Souls") ­- gefolgt von The Sopranos S03E11 ("Pine Barrens"), The Simpsons S08E23 ("Homer's Enemy"), Mad Men S04E07 ("The Suitcase"), My So-Called Life S01E11 ("Life of Brian") und selbstredend Lindenstraße 507 ("Laufpass").

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