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TV-Kritik/Review: "Evil": Das neue "Akte X" für unsere Zeit?
(07.08.2020/ursprünglich erschienen am 14.10.2019)
Immer wenn sich mal wieder das Gefühl breitmacht, dass angesichts all der neuen Streaming-, Kabel- und Pay-TV-Produktionen kein Mensch mehr über die Neustarts der kommerziellen US-Networks zu reden braucht, taucht dann doch wieder eine sehenswerte Produktion auf. Eine solche ist
Der deutsche Pay-TV-Sender ProSieben Fun zeigt die Auftaktstaffel von "Evil" ab dem heutigen Freitag - 7. August 2020 - wöchentlich um 20.55 Uhr. Die erste Staffel umfasst 13 Folgen, in den USA wurde bereits eine zweite bestellt.
Auf den ersten Blick scheint dies eines dieser typischen dreiviertelstündigen CBS-Procedurals zu sein, in der ein mehr oder weniger gegensätzlich angelegtes Ermittlerteam wöchentlich Fälle löst und dabei nur marginal von horizontalen Handlungslinien behelligt wird. Die naheliegende Frage all jener, deren Watchlist sowieso aus allen Nähten platzt, lautet also: Warum braucht es jetzt noch eine weitere dieser Serien?
Auf den zweiten Blick sieht die Sache schon anders aus: Hinter "Evil" steht nämlich das gefeierte Autoren-Ehepaar Michelle und Robert King, das nach sieben (Golden-Globe-gekrönten) Staffeln
Auf den dritten Blick sieht die Sache endgültig völlig anders aus, denn schon die Prämisse von "Evil" wirkt so abstrus, dass das Ergebnis entweder ungenießbar oder eben toll sein muss: Da arbeiten also in bewährter
Bei den Ermittlungen funkt ihnen beständig Michael Emerson dazwischen, der als wahnwichtelnder Doktor hier alle Register des Michael-Emerson-Typischen zieht und mit großer Freude am irren Augenrollen eine Art Best of seiner beliebtesten Schurkenparts (Ben Linus aus
Damit das Vorhaben funktioniert, braucht es einen guten Cast, und den gibt's hier zweifelsohne. Zum Beispiel darf die nie genug zu bewundernde Niederländerin Katja Herbers glänzen, die nach größeren (
Genau das ist die Trennlinie, an der "Evil" sich entlanghangelt: Was ist echt, was Einbildung? Was ist ein "Deep Fake" in Form nachretuschierter Fotos, vorgespielten Verhaltens, manipulierter Videos? Was bleibt dagegen unerklärlich? Wo endet die mentale Störung und beginnt das Übersinnliche? Ist das vermeintliche "Wunder" nur eine "medizinische Singularität"? Natürlich behandelt "Evil" solche Fragestellungen nicht trocken-thesenhaft, sondern anhand handfester Kriminalfälle, die in King-typischer Rasanz, die niemals Langeweile entstehen lässt, abgearbeitet werden. Egal ob es in der Pilotfolge um einen vermeintlich von Dämonen besessenen Mörder geht, hinter dessen erratischem Verhalten eventuell doch nur der als künftige Nemesis eingeführte Dr. Leland Townsend (Emerson) steckt, oder um die verstorbene Krankenhauspatientin aus Folge zwei (Hannah Hodson aus
"Evil" führt aber auch noch eine Schattenfigur ein, anhand der sich das zentrale Thema sogar noch konkreter durchspielen lässt. In der Nacht wird Bouchard nämlich von einem Incubus heimgesucht. Dieser spirrelige, rotäugige Dämon, der sich absurderweise "George" nennt, bedrängt sie sexuell, schnippelt ihr Gliedmaßen ab und lässt sich nur hartnäckig aus der (ihrer?) Realität vertreiben: Ist er ein tatsächliches Wesen oder ein Alptraum, ein Hirngespinst? Bouchard, die sich, weil ihr Mann als Bergführer im Himalaya arbeitet, allein um ihre vier Töchter (Brooklyn Shuck, Skylar Gray, Maddy Crocco und Dalya Knapp) kümmern muss, ist entsetzt, als auch ihre jüngste Tochter behauptet, diesen "George" des Nachts zu sehen, dann aber erleichtert, als sie den Incubus als Darsteller einer Gruselfernsehserie wiedererkennt, die ihre Töchter schauen. Das führt zu einem jener gekonnt selbstreferenziellen Volten, für die die Kings bekannt sind: Bouchard zeigt ihren Töchtern ein Making-of-Video zu ebenjener Gruselserie, in der dem Dämonen-Darsteller Marti Matulis (der eben auch in "Evil" den "George" spielt) gerade seine Gruselmaske angeklebt wird. Damit verlagert sich die Ist-alles-nicht-echt-oder?-Grundthematik von der Plot- auf die Meta-Ebene und gleichzeitig auch schon wieder zurück - und das ist ganz schön smart. "Du bist nicht real", ruft Kristen ihm in der nächsten Nacht entgegen. "Du bist aus einer schlechten Fernsehserie!" Ha, na also!
Was man glauben will oder nicht, das zieht sich auf vielen Ebenen durch die Serie. Auch der eingangs etwas eindimensionale Acosta präsentiert sich bald als gequälte Seele mit noch nicht ganz geklärtem Vorleben, dem tagsüber Dr. Townsend als personifiziertes schlechtes Gewissen erscheint und der sich nachts halluzinogene Pilztees aufbrüht: Von der Zimmerdecke rieselt ihm das mutmaßlich "göttliche Wunder" dann als drogeninduzierter Lichterrausch entgegen. Basiert der Glaube des angehenden Kirchenmanns nur auf Drogenerfahrungen? Das wäre vielleicht die Ansicht von Bouchards anti-autoritärer Mutter Sheryl (Rockerin in Leopardenbluse: Christine Lahti aus
Das Böse des Serientitels wird übrigens durchaus auch politisch interpretiert. "Die Welt", klagt Acosta einmal, "entwickelt sich zum Schlimmeren." Er nimmt die sozialen Medien als Beispiel, die zwar kommunikationsfördernd wirkten, aber eine entscheidende Schattenseite besäßen: Das Böse sei durch sie nicht länger isoliert. Sie, die Bösen, könnten nun jederzeit miteinander sprechen. Und sich absprechen. Klar, dass einem bei solchen Sätzen die rechtsextremen Attentäter von Christchurch oder zuletzt Halle in den Sinn kommen: Die Täter, die sich in einschlägigen Onlineforen tummelten, sind ein schrecklicher Beleg dafür, wie sich mörderische Umtriebe im Netz hochschaukeln können. Fast harmlos, aber immer noch bezeichnend für die veränderte Diskussionslage unserer Zeit, sind dagegen die Kommentarspalten der einschlägigen Film- und Serienbewertungsportale, in denen "Evil" nach der zweiten Episode von empörten Trump-Sympathisanten angegangen wurde - weil in dieser Folge rassistische Missstände im Krankenhaus thematisiert werden.
Politisch aber, so viel sollte seit "Good Wife" bekannt sein, sind die Serien der Kings immer. "Evil" macht da keine Ausnahme, und man darf gespannt sein, auf welche Weise die Serie etwa die Missbrauchsskandale in der Kirche thematisieren wird. Ausgelassen wird das Thema gewiss nicht. In einer weiteren selbstironischen Einlage wird Bouchard am Ende der Pilotfolge von Acosta und Shakir gefragt, ob sie sich ihnen denn nun anschließen wolle. Die Psychologin guckt nur knapp an der Kamera vorbei und meint dann halb verträumt, halb schelmisch, als spreche sie stellvertretend für die Betrachter: "I mean, I could have a look." Ja, tatsächlich: Allen, die sich wenigstens halbwegs für Procedurals, für King-Serien, für Katja Herbers, Mike Colter oder aber das unaussprechlich Böse interessieren, sei ein Blick auf "Evil" dringend ans Herz gelegt.
Dieser Text basiert auf Sichtung der ersten beiden Folgen der Serie "Evil".
© Alle Bilder: CBS
Über den Autor
Leserkommentare
piratchett1972 schrieb am 08.08.2020, 11.25 Uhr:
Hab' die Serie bereits im O-Ton verfolgt und war ebenfalls absolut angenehm überrascht! Richtig unterhaltsames, gutes Fernsehen, das bisweilen eben auch durchaus zum Nachdenken anregt. Bin definitiv hocherfreut, dass "Evil" für eine zweite Staffel verlängert worden ist!Sentinel2003 schrieb am 15.10.2019, 09.59 Uhr:
ist dann auch nur die frage, wer das ding ausstrahlen wird....FemFan schrieb am 14.10.2019, 17.42 Uhr:
Liest sich interessant genug um da mal rein zu schnuppern. Akte X, Mulder, Scully bleiben ein einmaliges Kultvergnügen. Unerreicht.
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