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TV-Kritik/Review: Marvel's Jessica Jones

Der feministische Superhelden-Thriller mit Krysten Ritter - von Gian-Philip Andreas
(24.11.2015)

Nicht nur ihre übermenschliche Muskelkraft macht Jessica Jones (Krysten Ritter) zur "starken Frau".
Nicht nur ihre übermenschliche Muskelkraft macht Jessica Jones (Krysten Ritter) zur "starken Frau".

Eine Superheldin außer Dienst, die nach einer Vergewaltigung an einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet und trotzdem keine Scheu hat, es in einer Kneipenschlägerei mit einer ganzen Rugby-Mannschaft aufzunehmen: Das ist nicht unbedingt die typischste aller Heldinnen. Auch eine taffe Anwältin, die ihre Ehefrau mit ihrer Assistentin betrügt, würde man auf den allerersten Blick nicht unbedingt in einer Marvel-Comicverfilmung verorten.  "Marvel's Jessica Jones" hat beide Figuren zu bieten - brillant gespielt von Krysten Ritter und Carrie-Anne Moss - und hebt sich schon deshalb ab vom Rest der jüngsten Comic-Adaptionen für Leinwand oder Bildschirm: Dies ist nicht nur die bislang feministischste Superheldenserie - sie ist auch bestens geeignet für alle, die sich sonst nicht die Bohne für Superheldenserien interessieren. Denn die übernatürlichen Fähigkeiten der Titelheldin spielen nur eine untergeordnete Rolle. Viel eher ist dies ein Psychothriller, der sich als "detective story" tarnt.

So ein Alleinstellungsmerkmal ist durchaus nötig. Denn zwischen all den Filmen und Serien, die da seit Jahren an der großen multimedialen Meta-Mythologie des Comic-Imperiums Marvel stricken, kann man sich inzwischen schon verheddern. Nach all den Einzel- und Sammelfilmen der "Avengers" und "Guardians of the Galaxy" im Kino wird inzwischen auch das Fernsehen mehrgleisig marvelisiert: ABC versorgt die Fans mit  "Agents of S.H.I.E.L.D." und  "Marvel's Agent Carter", in diesem Frühjahr legte der Streamingdienst Netflix mit  "Daredevil" nach, der ersten von vier Einzelserien, denen noch die Sammelserie  "The Defenders" folgen soll. Über all dem wacht stets die Fangemeinde: Sind die Ereignisse in den Filmen und Serien mal nicht bombenfest festgeschraubt im MCU, dem "Marvel Cinematic Universe", das alle Einzelgeschichten räumlich und zeitlich einheitlich verortet, glühen sofort die Kommentarspalten.

"Jessica Jones" ist nun die zweite dieser Netflix-Einzelserien, und sie ist sogar noch düsterer geraten als "Daredevil". Diese nachtfinstere Weltsicht ist im Comic-Genre seit "Batman Begins" sicher nichts Neues, die konsequente "Hardboiled"-Atmosphäre, die Regisseurin S. J. Clarkson in den ersten Folgen zelebriert, ist das allerdings schon. Dass hinter dem Projekt mit Melissa Rosenberg eine Autorin steht, als deren größter Erfolg die Adaption der blutsaugerromantischen "Twilight"-Schnulzen zu verbuchen ist, mag man fast nicht glauben angesichts der herrlich schroffen No-Nonsense-Attitüde, die Jessica Jones hier vor sich hertragen darf. Und die grenz-soziophobe Protagonistin ist hier nicht die einzige spannende Frauenfigur: Jessicas beste Freundin Trish Walker etwa ist Moderatorin einer Promi-Show im Radio, und Jessicas Auftraggeberin Jeri Hogarth residiert in einem Chef-Büro irgendwo hoch über New York und ist dort, wie beiläufig, die erste (offen) queere Figur im ganzen MCU.

Die Figur Jessica Jones selbst wird vor allem echten Marvel-Checkern etwas sagen: Zwischen 2001 und 2008 war sie die Hauptfigur der Reihen "Alias" und "The Pulse", die sich gezielt an ein erwachsene(re)s Publikum richteten. Die relativ nebulöse Mythologie der Figur ließ Rosenberg viel Spielraum für eine effektvolle Ausgestaltung - ohne dass sie sich dabei weit von den Vorlagen von Brian Michael Bendis und Michael Gaydos entfernen musste. Cover-Zeichner David Mack war sogar in die Gestaltung des Vorspanns involviert, der die Neo-Noir-Atmosphäre der Serie in impressionistisch ineinanderfließenden Zeichnungen zu loungiger Jazzmusik sehenswert vorwegnimmt.

Der nächste Volltreffer ist die Hauptdarstellerin. Krysten Ritter, die in  "Breaking Bad" Jesse Pinkmans Junkie-Freundin Jane spielte, verfügt über genau das passende Maß an Weirdness und Attraktivität, um sich die Außenseiterfigur Jessica optimal aneignen zu können: Jones, die "pensionierte" Superheldin, arbeitet als Privatdetektivin in New York, lebt in einem von Kakerlaken und nervtötenden Nachbarn umschwirrten Apartment/Büro in Hell's Kitchen und schnüffelt Fremdgehern hinterher. Sie säuft Whisky aus der Thermoskanne und liefert sarkastische One-Liner ab, von denen sich selbst Bruce Willis in seinen besten Gammel-Cop-Zeiten noch etwas hätte abschauen können. Ihre Superhelden-Fähigkeiten (spektakuläres Sprungvermögen und übermenschliche Kräfte) nutzt Jessica zwar, um Wohnungstüren aufzudrücken oder die Sportwagen zwielichtiger Clubbesitzer anzuheben, doch stehen sie nicht im Vordergrund. Im Gegenteil: Vor unbestimmter Zeit ging irgendetwas schrecklich schief, dass mit diesen Fähigkeiten in Verbindung stand. Was das genau war, bleibt eingangs ungeklärt - wie ohnehin die ersten Episoden vieles im Ungefähren belassen. Rosenberg ist vor allem an der Atmosphäre interessiert: Ihr New York ähnelt klassischen Noir-Erzählungen des US-Kinos, jeden Moment könnte ein "private eye" wie Bogart um die Ecke kommen und sich in das nächtliche Diner aus Edward Hoppers "Nighthawks" zurückziehen. Sean Callerys jazziger Score passt hervorragend dazu.

Die Bedrohung in lila: Kilgrave (David Tennant)
Die Bedrohung in lila: Kilgrave (David Tennant)

Die zentrale Erzählrichtung macht sich dennoch bald bemerkbar: Der routiniert klingende Entführungsfall einer jungen Athletin namens Hope Shlottman (Erin Moriarty) lässt Jessica vermuten, dass jener Mann hinter der Sache stecken könnte, der für ihre psychischen Probleme verantwortlich ist: Kilgrave. Der Mann, der zunächst nur als gruseliger Trauma-Trigger durch Jessicas Tag- und Alpträume huscht, ist ein Gedankenkontrolleur. Einst zog er auch Jessica in seinen Bann - bis es zur Katastrophe kam. Die Visualisierung der Panikattacken, die Jessica überfallen, als sie davon ausgehen muss, dass der Totgeglaubte wahrscheinlich wieder hinter ihr her ist, gehört zum Fesselndsten der ersten Folgen: In verkanteten Perspektiven lässt Regisseurin Clarkson die Bilder violett werden; kurze Schreckeffekte vermitteln die tiefe Verstörung der Protagonistin. Gespielt wird Kilgrave (hinter dem sich, wie Marvel-Kenner wissen, der böse und violette "Purple Man" verbirgt) von David Tennant, dem zehnten  "Doctor Who" und  "Broadchurch"-Ermittler im Schurkenmodus. Am Ende der zweiten Folge darf er in einer aus der Hinter-Kopf-Perspektive gefilmten, ausgesucht bösen Szene endgültig die Bühne des Geschehens betreten: zum Frösteln!

Dass es sich bei Kilgrave um einen Vergewaltiger handelt, wird zunächst nicht ausgesprochen, aber unmissverständlich angedeutet. Überhaupt ist der Umgang mit negativen wie positiven Aspekten der Sexualität in "Jessica Jones" bemerkenswert: Als Jessica etwa mit dem netten Barbesitzer von nebenan Sex hat, fällt der ziemlich ruppig aus. Obwohl sie nicht pornografisch wird (Marvel Entertainment gehört immerhin zu Disney), spielt diese Szene auf eine Weise mit der Vorstellungskraft der Zuschauer, die man im MCU-Rahmen nicht für möglich gehalten hätte. Wie Rosenberg es dabei schafft, Traumatisierung und Vergewaltigung mit sexueller Wiederaneignung und Selbstbehauptung zusammenzuschließen, ohne dass es peinlich oder heikel würde, ist beachtlich. Der Typ, mit dem Jessica da schläft, ist übrigens Luke Cage - auch er eine Marvel-Superheldenfigur und Titelheld der auf "Jessica Jones" folgenden Netflix-Marvel-Serie. Als er und Jessica, die hier als Love Interests gesetzt sind, sich gegenseitig als Superhelden erkennen, säbelt sich Luke zu Demonstrationszwecken mit einer Kreissäge in den Bauch. Ohne Konsequenzen, denn sein Markenzeichen ist seine unverletzbare Haut.

Lukes Darsteller Mike Colter (bekannt aus der CW-Serie  "Ringer") ist nur ein Beispiel für den sehenswerten Cast, der Ritter und Tennant hier unterstützt: Rachael Taylor ( "Crisis") etwa muss als Jessicas beste, aber derzeit verprellte Freundin Trish erst die vernünftig Mahnende geben, doch spätestens, als sie sich einem brutalen Selbstverteidigungstraining unterzieht, wird klar, dass sie noch ein Wörtchen mitreden wird im Kampf gegen die Nemesis ihrer Freundin. Neben Carrie-Anne Moss (Trinity in "Matrix"), die hier in der Rolle der lesbischen Jeri endlich mal wieder ihre Klasse beweisen darf, gibt es auch hochkarätige Gäste:  "The Wire"-Star Clarke Peters spielt einen Kommissar, Rebecca DeMornay ist als Trishs Mutter dabei, in Crossover-Auftritten schauen die "Daredevil"-Kollegen Rosario Dawson und Royce Johnson vorbei.

Doch trotz aller Schauwerte und Zwischentöne ist auch "Jessica Jones" nicht völlig makellos geraten. Nach der atmosphärischen Pilotepisode gerät schon die zweite Folge mit viel Standard-Ermittlungsarbeit in deutlich konventionelleres Fahrwasser, einigen Dialogen ist die Sprechblasenherkunft unschön anzumerken, und manche Konstruktion funktionierte im Print-Comic sicher besser als in der Fernsehumsetzung (etwa der ganze Plot um eine Nierentransplantation). Erfrischend ist es allerdings, dass die Serie nicht auf einen typischen "Fall der Woche" für Jessica Jones hinauszulaufen scheint mit - Hope Shlottman, die Gesuchte aus der ersten Folge, spielt weiter eine wichtige Rolle. Und mit Krysten Ritter kann so ohnehin schnell nichts schiefgehen. Sie ist das absolute Zentrum dieser Serie, ihr Charisma trägt "Jessica Jones" mühelos auch über holprigere Passagen. Ihre Jessica ist, so viel ist sicher, eine Fernsehfigur, die bleiben wird.

Dieser Text basiert auf Sichtung der ersten zwei Episoden von "Jessica Jones".

Meine Wertung: 4/5


Gian-Philip Andreas
© Alle Bilder: Netflix



 

Über den Autor

Gian-Philip Andreas hat Kommunikationswissenschaft studiert und viel Zeit auf diversen Theaterbühnen verbracht. Seit 1997 schreibt er für Print und online vor allem über Film, Theater und Musik. Daneben arbeitet er als Sprecher (fürs Fernsehen) und freier Lektor (für Verlage). Für TV Wunschliste rezensiert er seit 2012 Serien. Die seiner Meinung nach beste jemals gedrehte Episode ist Twin Peaks S02E07 ("Lonely Souls") ­- gefolgt von The Sopranos S03E11 ("Pine Barrens"), The Simpsons S08E23 ("Homer's Enemy"), Mad Men S04E07 ("The Suitcase"), My So-Called Life S01E11 ("Life of Brian") und selbstredend Lindenstraße 507 ("Laufpass").

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