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TV-Kritik/Review: "Eine Frage der Chemie": Auf den Punkt gegarte Emanzipationsfabel mit brillanter Brie Larson

Oscar-Preisträgerin ist der größte Trumpf dieser gelungenen Romanadaption bei Apple TV+
Kompetenz im Laborkittel: Elizabeth Zott (Brie Larson) wird von den Männern unterschätzt.
AppleTV+
TV-Kritik/Review: "Eine Frage der Chemie": Auf den Punkt gegarte Emanzipationsfabel mit brillanter Brie Larson/AppleTV+

Das ging schnell: Letztes Jahr erst ist "Lessons in Chemistry" erschienen, und mutmaßlich noch bevor sich der Debütroman von Bonnie Garmus zu dem weltweiten Bestseller entwickeln konnte, der er mittlerweile geworden ist, bekamen die Macher dieser neuen Apple-TV+-Miniserie den Zuschlag. Und jetzt ist die Verfilmung auch schon da: acht Episoden, inszeniert mit der formalen Perfektion eines Qualitäts-Biopics. Allerdings ist die Biografie, um die es hier geht, eine fiktive: Elizabeth Zott ist eine Chemikerin, die in den 1950er-Jahren an der sexistischen Herablassung des Wissenschaftssystems verzweifelt und infolgedessen lieber Fernsehköchin wird. Für Brie Larson ist die Rolle ein Renommierprojekt: Die Oscar-Preisträgerin ( "Raum") und amtierende  "Captain Marvel" hat die Serie höchstselbst mitproduziert und ziemlich gut daran getan:  "Eine Frage der Chemie" bietet fesselnden Pop-Feminismus mit genügend Überraschungen selbst für jene, die das Buch schon kennen.

Chemie und Kochen zusammenzudenken ist dabei nur auf den ersten Blick kurios, denn dass das Zubereiten von Speisen sehr viel mit Chemie zu tun hat, mit Eigenschaften von Substanzen und chemischen Reaktionen, das wissen alle, denen schon mal die Milch übergeschäumt ist. Dafür muss man nicht mal in einem dieser sündteuren Restaurants gewesen sein, die Molekularküche schäumchenweise auftischen. US-Amerikanerin Bonnie Garmus, die ihr Leben lang als Werbetexterin arbeitete, ehe sie mit 65 Jahren "Eine Frage der Chemie" veröffentlichte und einen Volltreffer landete, kennt sich da aus: Zeitlebens war sie an Chemie fasziniert, schaffte sie sich in ihrer Freizeit drauf. Auf dieser Grundlage schuf sie schließlich die Figur der Elizabeth Zott, die an alles, was ihr vor die Augen kommt, mit wissenschaftlicher Akribie herangeht, nur um alsbald lernen zu müssen, dass das Leben eben nur bis zu einem gewissen, sehr unbestimmten Grad planbar ist: Manchmal gehen die Dinge schief, manchmal wird Ihnen die Lasagne anbrennen, spricht sie einmal mit feierlichem Pathos in die Fernsehkamera, nachdem ihr der Bandnudelauflauf - live on air - aus dem Ofen entgegenrauchte.

Trotz erster Szenen aus dem Fernsehstudio, wo Zott in den 1960er-Jahren vor begeistertem, weiblich-weißem Publikum ihre Sendung aufzeichnen lässt, springen Roman und Serie zunächst um sieben Jahre zurück in die Fifties, als Zott noch im (ebenfalls fiktiven und im südlichen Kalifornien angesiedelten) Hastings Research Lab arbeitet. Die alleinstehende Frau unter sehr vielen Männern wird dort erwartungsgemäß wenig ernst genommen: Offiziell hat sie die Stelle einer Labortechnikerin inne, doch ihre Ambitionen im Bereich der Aminosäureforschung gehen weit darüber hinaus. Sie arbeitet auch nachts, wenn alle anderen schon gegangen sind, und begegnet den sexistischen Anspielungen ihrer Kollegen mit demonstrativer Ignoranz. Brie Larson kann hier sämtliche Spielarten von Deadpan-Gesichtsausdrücken durchprobieren, und es ist eine helle Freude, ihr dabei zusehen zu können.

Inmitten der Kollegenschar - darunter Derek Cecil ( "House of Cards") als Abteilungsleiter Dr. Donatti und Thomas Mann ( "Ich und Earl und das Mädchen") als schüchterner Jungchemiker - wird ihr wenig zugetraut, außer natürlich Dinge aus der vermeintlich weiblichen Sphäre: Bei der Betriebsfeier-Misswahl verhält sie sich ungebührlich, woraufhin sie im Institut als angezählt gilt.

Die Chemie stimmt: Elizabeth und ihr Kollege Calvin (Lewis Pullman) kommen sich näher.
Die Chemie stimmt: Elizabeth und ihr Kollege Calvin (Lewis Pullman) kommen sich näher. AppleTV+

Auftritt Calvin Evans. Der Starchemiker des Instituts - für den Nobelpreis im Gespräch - ist selbst ein Sonderling, der in seiner Freizeit manisch auf Seen herumrudert und die sieben Meilen zwischen Institut und Wohnhaus täglich laufend überbrückt. Im Reinraum knabbert er Nüsschen und von den restlichen Mitarbeitern hält er sich ebenso fern wie Elizabeth Zott. Klarer Fall, dass die beiden wie füreinander gemacht sind. Nach ersten arbeiten die beiden schon bald zusammen, misstrauisch beäugt von den Abteilungsoberen, müssen aber ebenso bald auch bemerken, dass die gläserne Decke für Frauen in einem wissenschaftlichen Institut kein Mythos ist. Sie, die keinen Doktortitel erwerben durfte, dafür aber über ein Y-Chromosom verfügt, wird nicht vorankommen in diesem System. An einem idyllischen Tag am See kommt es schließlich zum Kuss zwischen Elizabeth und Calvin - es wird nicht der letzte bleiben.

Lewis Pullman ist übrigens eine Idealbesetzung für Calvin: Nicht nur trifft der attraktive  "Catch-22"- und  "Outer Range"-Darsteller genau die goldene Mitte zwischen Kauzigkeit und Lässigkeit, auch sprühen zwischen ihm und Larson tatsächlich vom ersten Moment an die Funken. Selten hat man zuletzt eine Serienromanze gesehen, die so glaubwürdig erschien wie diese, und sicher muss man wohl auch Regisseurin Sarah Adina Smith beglückwünschen, die die Genese dieser Beziehung in den ersten beiden Episoden so leichtfüßig wie präzise auf den Bildschirm bringt. Tatsächlich sind diese Auftaktfolgen die besten der acht - was aber keineswegs heißt, dass sich der Rest nicht lohnt.

Wer den Roman kennt, weiß ohnehin, was Calvins und Elizabeths Beziehung für ein Schicksal beschieden ist, alle anderen lernen es spätestens kennen, wenn in der dritten Episode plötzlich der RomCom-geeignete Hund des Paares, genannt Six-Thirty (deutsch: Halbsieben), die Erzählerrolle übernimmt. Spätestens hier ist klar, dass die Serie die Prämisse der Erzählung ernst nimmt: Wo man sich gerne auf wissenschaftliche Gewissheit verlassen würde, wartet stattdessen das Chaos, der Zufall, die verdammte Kontingenz des Daseins - und der spleenige Schalk.

Nicht der ideale Boss: Rainn Wilson als Chef des Fernsehsenders
Nicht der ideale Boss: Rainn Wilson als Chef des Fernsehsenders AppleTV+

Auch in den weiteren Episoden bleibt die Serie nah am Roman (Garmus co-produzierte sie mit): Wir folgen Elizabeth, wie sie gefeuert wird, weil sie unerwartet schwanger wird; wie ihre Tochter Madeline geboren wird und aufwächst; wie Elizabeth den weisen Reverend Wakely (Patrick Walker aus  "Die letzten Tage des Ptolemy Grey") kennenlernt, sich mit ihm anfreundet und über ihn und den Anwalt Wilson (Beau Bridges,  "Die fabelhaften Baker Boys") Nachforschungen über Calvins Kindheit und traumatische Jugend anstellen kann. Es geht auch rückblendenweise zurück in Elizabeths nicht minder traumatische jüngere wie ältere Vergangenheit. Sobald jemand im geschlossenen Raum die Tür schließt, kriegt sie Panik. Der Auslöser dieser Angst wird drastisch in Szene gesetzt - die Triggerwarnung vor Folgenbeginn sollte beachtet werden.

Nach Jahren kehrt Zott dann zurück ins Institut, nur um wiederum später, nach einem üblen Verrat, die Brocken hinzuwerfen - die Weichen in ihr neues Leben werden gestellt. Schließlich landet sie in einem regionalen Fernsehsender, wo sie die Kochshow ganz anders aufzieht, als es der Senderchef (schräg wie stets: Rainn Wilson aus  "The Office") und ein Großteil des Publikums es sich wohl vorgestellt hatten. Doch gerade ihre kompromisslose Art macht Elizabeth, jetzt meist mit hochgestecktem Haar und dadurch noch strenger wirkend, zur Erfolgsgarantin.

Man folgt dieser Geschichte im Lauf der acht Episoden ebenso gern wie auf Papier; nicht umsonst wurde Garmus' Stoff ja als veritabler pageturner gefeiert. Und auch wenn man die eine oder andere Wendung mit etwas schlechtem Willen als klischeehaft oder abgegriffen bezeichnen könnte, gerade weil die Serie den Standards "echter" Biopics getreulich folgt, sorgen die durchweg gut geschriebenen und gespielten Figuren mit ihrer Sonderbarkeit stets für jenen frischen Wind, der alle Bedenken wegfegt, die Serie habe sich mit ihren Schlaglichtern auf Sexismus, Rassismus, Homophobie, Missbrauchsbiografien und andere Schrecklichkeiten womöglich zu viel aufgehalst. Erwähnenswert ist dabei vor allem Stephanie Koenig ( "Swedish Dicks"), die zu Beginn als Institutssekretärin noch das bewährte Weltbild vertritt und als Antagonistin eingeführt wird, ehe sie später zum "Team Elizabeth" wechselt. Auch versierte Nebendarsteller wie Marc Evan Jackson ( "Der Babysitter-Club"), Adam Bartley ( "Longmire") oder Rosemarie DeWitt ( "Rachels Hochzeit") wissen ihre Screentime zu nutzen.

Kämpft gegen die Gleichgültigkeit der Stadtpolitik: Elizabeths Nachbarin Harriet (Aja Naomi King)
Kämpft gegen die Gleichgültigkeit der Stadtpolitik: Elizabeths Nachbarin Harriet (Aja Naomi King) AppleTV+

Während der Plot im Großen und Ganzen der Romanhandlung folgt, wurde der Handlungsstrang einer bestimmten Figur für die Serie deutlich erweitert: Harriet Sloane - stark gespielt von Aja Naomi King aus  "How to Get Away with Murder" - ist jetzt nicht mehr nur die fürsorgliche Nachbarin, sondern eine kämpferische Aktivistin, die gegen den geplanten Autobahnbau quer durch das Sozialviertel Sugar Hill zu Felde zieht. In den ersten Episoden wirken die Szenen mit Harriet und ihren Kindern noch fast wie ein Fremdkörper, der vor allem dazu da zu sein scheint, den Anteil an People of Color in dem ansonsten sehr weißen Szenario zu erhöhen, doch mit der Zeit nimmt ihre Story, die sich mit Elizabeths verwebt, deutlich an Fahrt auf und bringt rührende, amüsante, aufrüttelnde Szenen hervor. Hauptautor Lee Eisenberg, der zuletzt die Serien  "WeCrashed" und  "Little America" mitverantwortete, ist es gelungen, diese neuen Elemente organisch in das bestehende Gerüst einzufügen und gleichzeitig noch mehr über die gesellschaftliche Situation in den USA der Fünfziger und Sechziger zu erzählen als der Roman.

Und Brie Larson? Die dürfte den einen oder anderen Preis abräumen. Gewiss, ihre Figur Elizabeth Zott ist einerseits natürlich zu forsch, um wahr zu sein. Ihre mit regungsloser Miene vorgetragenen Instant-Analysen über männliches Stammesgebaren und sexistische Diskriminierung klingen weniger nach authentischem Fifties-Sprech als danach, wie man von heute aus damalige Figuren gerne sprechen lassen würde: wie Idealbilder eines poppigen Proto-Feminismus. Genau das hat andererseits auch den Appeal des Romans ausgemacht - und das Fiktive der Zott'schen Biografie lässt diesen Freiraum ja gerade zu. Larson jedenfalls unterläuft jede didaktische Belehrung mit ihrem eigenwilligen Charme und einem durchdringend hellwachen, neugierigen Blick, der sie als Wissenschaftlerin jederzeit glaubwürdig erscheinen lässt. Selbst biestigste Antifeministen werden am Ende wohl mit ihr mitfiebern.

Dieser Text basiert auf der Sichtung der kompletten Staffel von "Eine Frage der Chemie".

Meine Wertung: 3.5/5

Die achtteilige Miniserie "Eine Frage der Chemie" wird bei Apple TV+ weltweit ab dem 13. Oktober veröffentlicht.


 

Über den Autor

Gian-Philip Andreas hat Kommunikationswissenschaft studiert und viel Zeit auf diversen Theaterbühnen verbracht. Seit 1997 schreibt er für Print und online vor allem über Film, Theater und Musik. Daneben arbeitet er als Sprecher (fürs Fernsehen) und freier Lektor (für Verlage). Für TV Wunschliste rezensiert er seit 2012 Serien. Die seiner Meinung nach beste jemals gedrehte Episode ist Twin Peaks S02E07 ("Lonely Souls") ­- gefolgt von The Sopranos S03E11 ("Pine Barrens"), The Simpsons S08E23 ("Homer's Enemy"), Mad Men S04E07 ("The Suitcase"), My So-Called Life S01E11 ("Life of Brian") und selbstredend Lindenstraße 507 ("Laufpass").

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