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TV-Kritik/Review: "Herrhausen - Der Herr des Geldes" bereichert ARD-Programm
(30.09.2024)
Im Advent stürmen vermummte Terroristen ein geselliges Beisammensein der Deutschen Bank und ballern herum. Sie suchen den Star aus dem Duo der Vorstandssprecher. Der anwesende Weihnachtsmann bekennt: Ich bin Alfred Herrhausen
. Glück gehabt: Alles nur ein Albtraum! Jenseits der Furcht vor der Roten Armee Fraktion RAF fordert der Spitzenmanager, dass Geldgeber Schulden finanziell erschöpfter Staaten löschen. Dank provokanter Ideen und erkennbarer Machtfülle wächst die Anzahl der Freunde und Feinde des Wirtschaftsführers. Mit solchen Zusammenhängen bereichert
Oliver Masucci beeindruckt als Alfred Herrhausen, der 1989 ermordet wird. Das Erste verteilt die Miniserie auf zwei Termine am 1. und 3. Oktober. Die ARD Mediathek fasziniert ab dem 30. September mit der Mischung aus Porträt und Polit-Thriller.
Säurefass-Mörder verwandelt sich in vermeintliche Lichtgestalt
Als sogenannter "Säurefass-Mörder" hat Oliver Masucci in Herr Dr. Herrhausen, das ist die TAZ!
Für mehr Aufmerksamkeit oder zur Ablenkung inszeniert der Bankier eine Show wie die Pressekonferenz in Washington, auf der er nach seiner Rückkehr aus Mexiko erklärt: Ich möchte das Resultat meiner Reise in einer sehr einfachen Weise zusammenfassen - lasst uns die Schulden der ärmsten Länder der Welt streichen.
Ehemaliger Nazi-Schüler behält seine Ruhe
Oliver Masucci vermittelt die Coolness seiner Figur, wenn der andere Vorstandssprecher Friedrich Wilhelm Christians (August Zirner) jammert: Sie haben ohne Vorwarnung ein Schlachtfeld eröffnet.
In dieser Darstellung behält Alfred Herrhausen seine Ruhe, als der frühere Kriegsgefangene Roger Burwell (Philippe Brenninkmeyer) den damaligen Nazi-Schüler wegen des Umbruchs der Finanzwirtschaft anpflaumt: Sie haben den Krieg verloren - vergessen Sie das niemals!
Übrigens vertritt Philippe Brenninkmeyer die zahlreichen Schauspielerinnen und Schauspieler, die sogar Nebenrollen talentiert ausfüllen.
Sekretärin widerspricht und richtet Krawatte
Mit sparsamer Gestik und Mimik nimmt der Aufsteiger die Bewunderung der Damen entgegen. Zu diesem Kreis gehört Almut Pincker (Ursula Strauss), die widerspricht und selbstbewusst das Büro leitet. Die Sekretärin weist Leute ab und richtet seine Krawatte. In seinem Auftrag spioniert sie sogar im Hause. Anders als diese berufliche Partnerin muss Thomas Wasner manche Demütigung einstecken. Selten wirft ihm sein Herr und Meister einen Brocken zu, wenn der Assistent eine starke Leistung erbringt. Immerhin reicht das Einkommen für manche Nase voller Kokain.
Alternde Geldsäcke lachen und leiden
Nach zwei Unfällen vertraut Alfred Herrhausen eher Whisky und Schmerztabletten. Angewidert und belustigt beobachtet Ellen Schneider-Lenné (Bettina Stucky) die Tollheiten der hohen Herren. Dank ihrem Gönner rückt sie in den Vorstand auf. Dort lachen die Geldsäcke über ihren Doppelnamen und die Zumutungen einer Frau. Doch mit ihrer Hilfe verordnet Alfred Herrhausen der Bank eine anstrengende Erholungskur. Nebenbei greift er zur Alleinherrschaft an der Vorstandsspitze. Gegen den Widerstand der Kollegen betreibt er Modernisierung und Effizienzsteigerung: Er bündelt das Geschäft sämtlicher Filialen in Frankfurt, entwickelt neue Finanzprodukte und setzt auf Digitalisierung. Die Mitglieder im Vorstand akzeptieren die Reformen mit Leichenbittermienen, während weit entfernt Terroristen mit ähnlichem Gesichtsausdruck trainieren.
Kluger Geschäftsmann prophezeit Börsencrash
Der Schuldenerlass und der Einstieg ins riskante Investmentbanking erfordern Geduld. Diese beiden Themen markieren die Widersprüche von Alfred Herrhausen. Der Reisediplomat begreift, dass weltweite Nöte die Finanzmärkte und die wohlhabenden Gesellschaften bedrohen. Trotzdem stößt er die Deutsche Bank in den sogenannten Kasino-Kapitalismus, der nach seiner Zeit zur Finanzkrise von 2008 führt. Allerdings verlangt der kluge Geschäftsmann Sicherheiten: Wenn die amerikanischen Banken so weitermachen - und die werden so weitermachen - dann wird der Markt zusammenbrechen. Und einen Börsencrash, den können wir uns noch weniger leisten als einen Schuldenerlass.
Einen Vorgeschmack auf die Erschütterungen unserer Zeit erleben die Menschen am Schwarzen Montag im Oktober 1987, als die Wertpapiere wie vorhergesagt zittern.
Kritiker verbindet Bedürfnisse der Gesellschaft und der Bank
Wenige Leute wie Alfred Herrhausen verstehen solche Gefahren. Auf zynische Rückmeldungen aus seinen Kreisen reagiert er mit ethischen Überzeugungen: In einer endlichen Welt gibt es kein unendliches Wachstum
, verbindet der ewige Kritiker die Bedürfnisse der Gesellschaft und der Bank, deswegen müssen wir jetzt noch innovativer handeln
. Ob all die geistreichen Zitate vom realen Vorbild stammen oder den Formulierungskünsten von Thomas Wendrich entspringen, lässt sich unmöglich überprüfen. Jedenfalls erledigt der Drehbuchautor einen hervorragenden Job. Dafür hat er bereits eine Auszeichnung auf dem Festival "Series Mania" im französischen Lille erhalten.
Terroristen sollen Probleme lösen
Bundeskanzler Helmut Kohl (Sascha Nathan) motzt über die Arroganz von Alfred Herrhausen: Willst du meinen Job machen?
. Der Bankier bestätigt den Vorbehalt, als er intern über den Regierungschef grummelt: Kann er nicht einfach machen, was man ihm sagt?
Thomas Wendrich entwirft ein lustiges Wechselspiel zwischen den beiden Freunden. Ohnehin räumt er Platz dem Humor ein. Ich muss doch wohl bitten!
- die Empörung über einen dummen Sprach aus dem Vorstand ändert nichts an der Wut auf ihren Sprecher. Mehr oder weniger hoffen die Finanzhaie, dass ausgerechnet ihre Feinde das Problem mit dem Streber lösen: Wo ist die RAF, wenn man sie mal braucht?
Mit beinahe denselben Worten beschwert sich Minister Erich Mielke (Axel Wandtke) bei Major Wild (Franz Hartwig) vom Ministerium für Staatssicherheit MfS, weil die Aktivitäten des westlichen Gegners das Bündnis mit der Sowjetunion gefährden.
Niemand hört auf frierende Machtfigur aus Deutschland
Der schreckliche Stasi-Minister reizt mit seinem Gehabe zum Lachen, als er Agenten zusammen mit terroristischen Partnern aus der Bundesrepublik drillt. Solche schrägen Szenen von Thomas Wendrich münden in einen absurden Aufenthalt in Moskau, wo die deutsche Machtfigur plötzlich frieren muss und niemand auf Herrn Dr. Herrhausen hört. Trotz ihrer wenigen Einsätze inszeniert Regisseurin Pia Strietmann diese Situationen eindringlich, stimmungsvoll und abwechslungsreich. Dabei helfen die Aufnahmen des erfahrenen Kameramanns Florian Emmerich (
Alfred Herrhausen fährt auf "Road to Nowhere"
Zur Hochform laufen die Cutter auf: Anja Siemens (
Miniserie vertreibt Langeweile und vermittelt schwierige Themen
Obwohl öffentlich-rechtliche Sender oft belehren, lässt die ARD dem Team lange Leine. Sie schielt auf moderne Methoden aus dem Streaming. Fragt sich bloß, warum die Programmplaner die fertige Produktion so lange zurückgehalten haben. Jedenfalls vertreiben die Beteiligten jegliche Langeweile mit ihrer Miniserie. Sie vermitteln schwierige Themen mit Leichtigkeit und unterhalten vorzüglich. Der Fernsehpreis aus Frankreich belegt das Interesse, das um die Welt wandern könnte. International lockt der International Emmy Award - man wird ja wohl noch träumen dürfen... Vorerst genügt der Bernd Burgemeister Fernsehpreis, den Produzentin Gabriela Sperl für den besten Mehrteiler beim Filmfest München erhalten hat. Und hoffentlich setzt die ARD nach diesen angenehmen Erfahrungen ihren Standard bei Serien höher.
Geheimdienste begegnen Terroristen
"Herrhausen - Der Herr des Geldes" überschreitet die Grenzen von einem Biopic, also von einer verfilmten Lebensgeschichte. Sogar Elemente aus einem Agentenfilm stecken im Konzept. Kaum zu glauben, wer alles bei den Gesprächen mithört und heimlich fotografiert. Geheimdienste wie CIA, KBG, die Stasi der DDR und der deutsche Verfassungsschutz strecken ihre Fühler aus. Sie schließen seltsame Bündnisse, solange Alfred Herrhausen weltweit nervt. Die Amerikaner befürchten den Zusammenbruch ihrer wichtigsten Banken, falls der Deutsche triumphiert. Sowjetische Kräfte verabscheuen die Erniedrigung, dass Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow um Kredite bei den Kapitalisten bettelt.
Erich Mielke und seine Gesinnungsgenossen erwarten den Untergang, sofern die Schutzmacht UdSSR mit der Bundesrepublik kuschelt. Ebenso misstrauen deutsche Bedenkenträger im Westen den Änderungen:Das haben wir noch nie so gemachtist auch in dieser TV-Erzählung zu hören. Unter diesen Umständen pflegen einige Staatsdiener den Austausch mit Terroristen. Oder sie sehen desinteressiert weg, wenn die RAF und die Palästinensische Befreiungsfront PLF gemeinsam Alfred Herrhausen ins Visier nehmen. Alles übertrieben? Mag sein - jedoch anders als im wahren Leben schaden Verschwörungsfantasien nicht. Sie deuten auf echte Pannen und Risiken.
Wahre Geschichte ist nicht unbedingt wahr
Nicht zuletzt unterhalten verrückte Gedanken und Geschehnisse. Vermutlich wegen der Kosten erfreut nur wenig Action die Zuschauerinnen und Zuschauer. Die einfallsreichen Abläufe gleichen diesen Mangel aus. Zu Beginn jeder Folge ermahnt ein schriftlicher Hinweis, die geschilderten Ereignisse nicht zu ernst zu nehmen: Nach einer wahren Geschichte. Soweit Geschichte wahr sein kann.
Niemand erwartet Vorkenntnisse, wie ein eingeblendeter Satz belegt: 1987 - die Welt ist in zwei Blöcke geteilt und Deutschland in Ost und West.
Da lässt sich nur noch sagen: Bitte unbedingt einschalten!
Dieser Text beruht auf der Sichtung der gesamten Miniserie "Herrhausen - Der Herr des Geldes".
Das Erste zeigt den Anfang und den zweiten Teil in einem Stück am Dienstag, dem 1. Oktober - um 20.15 Uhr nach der Hauptausgabe der
Über den Autor
Leserkommentare
Dr.Z schrieb am 02.10.2024, 11.00 Uhr:
Nach den ersten 2 Teilen bin ich enttäuscht.
Finde viele Schauspieler als Fehlbesetzung, vor allem den Hauptdarsteller.
Finde Masucci eigentlich gut, aber nicht in dieser Rolle.
Viele Zuschauer werden die Fiktionen als real übernehmen, was mich immer bei Zeitgeschichten nervt.Spooky78 schrieb am 30.09.2024, 13.01 Uhr:
Als "Ohrenzeuge" des Attentats auf Alfred Herrhausen interessiert mit natürlich vor allem die Darstellung der damaligen Ereignisse und der weiteren Ermittlungen, die ja bis heute noch nicht abgeschlossen sind. Ich befürchte allerdings, dass im gewählten Spielfilm-Format die Wahrheitsfindung zugunsten des Unterhaltungswertes und der Gesellschaftskritik zurückstecken muss. Umso größer sind meine Erwartungen an die ebenfalls für den 03.10. angekündigte Doku, die auch bereits heute in der Mediakthek verfügbar sein dürfte.
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