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TV-Kritik/Review: "Hundert Jahre Einsamkeit" erzeugen mehr Langeweile als Faszination

(15.12.2024)

Eine Schwangere, die Angst hat, ihr Baby könne mit einem Ringelschwänzchen geboren werden, ein stummes Mädchen, das lieber die Erde im Garten isst als die Suppe der Ziehmutter, erfolgreiche Versuche, Gold zu erzeugen, und die Gabe, in die Zukunft zu sehen.
Sein 1967 erstmals erschienener Roman zählt zur Weltliteratur und galt bis vor kurzem als unverfilmbar. Wie soll man auch eine Geschichte sinnvoll in eine filmische Form bringen, die sich über 100 Jahre und sechs Generationen einer Familie erstreckt, die zudem mit unzähligen Vor- und Rückblenden arbeitet und die sehr stark episodisch angelegt ist, statt eine große stringente Handlung zu erzählen? Eine TV- oder Streamingserie scheint hierfür sicher geeigneter als ein einzelner Kinofilm und so hat Netflix jetzt das Experiment gewagt, aus dem Jahrhundertroman eine 16-teilige Serie zu machen. Deren erste acht Episoden stehen seit Mitte Dezember zum Ansehen bereit.
"Hundert Jahre Einsamkeit" erzählt die Chronik eines fiktiven Dorfes im kolumbianischen Dschungel vom 19. bis ins 20. Jahrhundert, die eng verwoben ist mit der realen histrorischen Entwicklung des Landes. Gleichzeitig ist es die Chronik der Familie Buendía, die dieses Dorf gründet und 100 Jahre später gemeinsam mit ihm zu Grunde geht. Dazwischen liegen Entdeckungen und Erfindungen, Lieben und Leidenschaften, verschwindende und neu auftauchende Familienmitglieder, Krieg und Ausbeutung, Krankheiten, Epidemien und Wahnsinn und immer wieder im Grunde unerklärliche Dinge. Erzählt wird diese Geschichte von einem Erzähler aus dem Off, was ermöglicht, ganze Sätze des Romans - auch abseits der Dialoge - wörtlich wiederzugeben. Ein besonders filmisches Stilmittel ist dies allerdings nicht und manchmal wünscht man sich, die Serienmacher hätten mehr nach dem Leitsatz "Show, don't tell" gehandelt.

Alles beginnt mit dem jungen Liebespaar José Arcadio Buendía (Marco González, später Diego Vásquez) und Úrsula Iguarán (Susana Morales, später Marleyda Soto). Im Duell tötet José Arcadio seinen Konkurrenten, dessen Geist die Liebenden danach aber nicht mehr in Ruhe lässt und selbst beim Sex beobachtet. So bleibt den Beiden nur noch der Auszug aus ihrem Heimatdorf. Gemeinsam mit einigen anderen Familien machen sie sich auf, am Meer eine neue Heimat zu finden, stranden aber nach mühsamer Wanderung mitten im Urwald.
Hier bauen sie das Dorf Macondo auf, wo sie zunächst als freie Menschen ohne Regierung oder staatliche Einflussnahme leben können. Ihr Erstgeborener, der ebenfalls José Arcadio heißt (Andrius Leonardo Soto), brennt mit einer "Zigeunerin" durch, nachdem er eine Freundin seiner Mutter geschwängert hat. Sein jüngerer Bruder Aureliano, die eigentliche Hauptfigur, hat schon als Kind (Jerónimo Barón) Visionen von der Zukunft. Wir Zusehende erfahren bereits in der ersten Szene, dass er einmal als Oberst (dann: Claudio Cataño) vor einem Erschießungskommando enden wird.
Bis dahin wird es aber noch ein weiter Weg sein und so werden wir in den ersten der jeweils rund einstündigen Episoden erst einmal Zeugen des verschachtelten Familienlebens der Buendías und ihrer Nachbarn und Freunde. Eine Gruppe Artisten um den Alchemisten Melquíades (Moreno Borja) kommt immer mal wieder für ein Gastspiel vorbei und regt Phantasie und Erfindungsgeist von José Arcadio sr. an. Zwischendurch droht auch mal eine geheimnisvolle Epidemie, die allen Dorfbewohnern schrittweise ihr Gedächtnis raubt, in komplettem Chaos zu enden. Nur, was das alles eigentlich soll, wird zumindest in den ersten Folgen leider überhaupt nicht klar.
Da sich nach drei Stunden im Grunde immer noch keine richtige Geschichte entfaltet, sondern sich lediglich mal mehr, mal weniger interessante episodische "Geschichtchen" aneinanderreihen, stellt sich schnell ein Gefühl der Langeweile ein. Das ist schon alles gut inszeniert (auch wenn die Musikbegleitung des Öfteren in Ethnokitsch abzusaufen droht), mit aufwändigen Kulissen und Kostümen, vielen Statisten, beeindruckenden Landschaftsaufnahmen und perfekt choreografierten Plansequenzen, in denen wie in einem Wimmelbild viele Dinge gleichzeitig passieren. Das alles lässt einen aber ziemlich kalt, da es den Machern nicht gelingt, eine wirkliche Beziehung zu den Figuren aufzubauen. Diese sind jeweils auf wenige Charaktereigenschaften beschränkt: Der eine Held ist begeisterungsfähig und etwas weltfremd, der andere schüchtern und die Heldin durchsetzungsfähig. Was sie aber wirklich in ihrem Innersten antreibt, bleibt unklar.

Ebenso wie auch der Gedanke hinter dieser Romanadaption jenseits des rein kommerziellen Erfolgsversprechens durch den großen Bekanntheitsgrad des Titels. Es ist nicht zu erkennen, was die Macher an dem Roman nun so stark gereizt hat, dass sie ausgerechnet diesen verfilmen wollten. Ebenso wenig fügen sie ihm etwas Neues hinzu. Die einzelnen Stationen des Buchs werden einfach nacheinander abgehandelt. Dann kann man sie aber auch gleich im Originalstil García Márquez' lesen, was literarisch sicher einen stärkeren Eindruck erzeugt. Die Serienfassung ist zwar nicht richtig misslungen, hinterlässt aber jenseits der für Europäer exotischen Schauwerte eher Ratlosigkeit.
Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten drei Episoden von "Hundert Jahre Einsamkeit".
Die erste Hälfte (acht Episoden) der Serie steht seit dem 11. Dezember bei Netflix zum Abruf bereit.
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