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TV-Kritik/Review: "Little Bird": Identitätssuche zwischen indigenen Wurzeln und jüdischer Erziehung
von Marcus Kirzynowski(16.05.2024)

An einem schönen Sommertag im Jahr 1968 streifen die fünfjährige Bezhig (Keris Hope Hill) und ihr Zwillingsbruder Nizzh durch die Prärie ihres Reservats. Als ein Polizeiwagen vorbeifährt, bewirft es der kleine Junge mit einem Stein. Damit zieht er nicht nur die Wut der Beamten auf sich, sondern schnell auch die Aufmerksamkeit des Jugendamtes auf die ganze Familie. Und das steht der Kultur der indigenen Ojibwe nicht gerade aufgeschlossen gegenüber. Für die Geschwister hat das katastrophale Folgen.
Wie in anderen Ländern mit großer indigener Bevölkerung auch, wurden in Kanada über Jahrzehnte hinweg Kinder aus letztlich rassistischen Gründen ihren Eltern entrissen, in staatliche Obhut genommen und zur Zwangsadaption an Weiße Familien freigegeben. In Kanada geschah das von Anfang der 1960er bis in die 80er Jahre im sogenannten 60s Scoop. Von dieser grausamen Praktik und den traumatischen Spätfolgen erzählt die sechsteilige Miniserie

Tatsächlich wirft die resolute Sozialarbeiterin der Mutter vor, ihre Kinder zu vernachlässigen. Indizien dafür sind der fehlende Kühlschrank und Wasseranschluss. Dabei gibt es im ganzen Reservat weder Strom noch fließendes Wasser. Schließlich entdeckt Young auch die versteckte Tochter und wertet das als Zeichen für Misshandlung - sie nimmt alle drei Kinder sofort mit in ein Heim. Zum Unverständnis ihrer jungen Kollegin, die das emotional sehr angreift.
18 Jahre später feiert die längst erwachsene Bezhig (Darla Contois), die jetzt Esther Rosenblum heißt, die Verlobung mit ihrem Kindheitsfreund David (Rowen Kahn). Sie steht kurz vor ihrem Juraexamen. An ihre Herkunft erinnert sie sich kaum. Doch als sie zufällig hört, wie sich ihre zukünftige Schwiegermutter abfällig über ihren nicht jüdischen Hintergrund äußert, brechen sich lange verdrängte Bilder wieder Bahn. Esther verlässt die eigene Party Hals über Kopf und begibt sich auf die Suche nach ihren Wurzeln.

Trotz aller Vorhersehbarkeit ist der Handlungsstrang um die junge Bezhig und ihre Geschwister emotional kaum zu fassen. Wie kann ein angeblicher Rechtsstaat einer Mutter ihre Kinder entreißen, die sich mit Händen und Füßen dagegen wehren, mit fadenscheinigen Gründen, die nicht mehr sind als offensichtliche Unterstellungen? Wie kann ein Richter das dauerhaft absegnen, ohne die Betroffenen überhaupt anzuhören? Warum greift keine(r) der Staatsbediensteten ein, obwohl doch die junge Adèle erkennt, dass dieses Verfahren nicht gerecht sein kann? Heute wissen wir, dass sich diese Vorgänge nicht nur in Kanada, sondern auch in anderen Demokratien wie den USA oder Australien (man erinnere sich an den Kinofilm
Emotional weniger berührend bleibt leider die Aufarbeitung der Ereignisse durch die erwachsen gewordene Tochter in den 80ern. Zwar werden wir Zeugen, wie Esther/Bezhig ihre Geschwister nach den vielen Jahren wiederfindet, wie sie erfährt, was damals wirklich passierte. Diese Begegnungen bleiben aber seltsam blass. Vielleicht, weil hier zu viele Zufälle im Spiel sind - kaum hat sie sich auf die Suche gemacht, hat sie ihre Schwester auch schon gefunden. In dem riesigen Reservat stößt sie ohne größere Probleme schnell auf das Haus ihres Bruders. Auch die SchauspielerInnen überzeugen hier nicht so rückhaltlos wie die Darsteller auf der anderen Zeitebene.

Hinzu kommt, dass die Geschichte mit dem zusätzlichen Thema der jüdischen Aufnahmefamilie etwas überfrachtet wirkt. Während Esthers Rede auf ihrer Verlobungsfeier am Anfang wird deutlich, dass ihre Adoptivmutter Golda (Lisa Edelstein,
Faszinierend wird die Serie immer dann, wenn sie ganz in die indigene Kultur der Ojibwe eintaucht und dabei auf die stilistischen Mittel des Indiefilmemachens vertraut (Regie der ersten Episoden: Elle-Máijá Talifeathers). Mit Hilfe von Landschaftsaufnahmen und Lichtreflexen (den berüchtigten Lense Flares, bei denen die Sonne direkt in die Kamera scheint) verschmelzen Innen- und Außenwelt der ProtagonistInnen. Auf der anderen Seite wirken die Menschen in allen Sequenzen, die sich in der Stadt (der Mehrheitsgesellschaft) mit ihren Ämtern, Gerichten und Erziehungsheimen abspielen, sich selbst und der Natur entfremdet. Wer neu in dieses System kommt, mag sich noch sein Einfühlungsvermögen bewahrt haben wie die junge Adèle. Jahrzehnte später ist sind davon aber allenfalls noch kleine Reste übrig.

Das größte Verdienst der Serie ist es, von den schockierenden gesellschaftlichen Hintergründen zu erzählen, die immer noch zu wenig bekannt sind. Den SerienmacherInnen gelingt es mal mehr und mal weniger, das in eine überzeugende fiktionale Form zu gießen. Hier wären einige Aspekte weniger wohl mehr gewesen.
Dieser Text basiert auf der Sichtung der kompletten Miniserie "Little Bird".
Die sechsteilige Miniserie ist ab dem 16. Mai bei arte.tv verfügbar. Die lineare Ausstrahlung folgt am Donnerstag, den 23. Mai ab 21.45 Uhr bei arte mit allen Episoden am Stück.
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