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TV-Kritik/Review: "Scenes from a Marriage": Stunden des Schmerzes, Stunden des Leids
(19.09.2021)
Wer sich das eigene Leben und die eigenen Beziehungen als eine Abfolge von Szenen vorstellt, die irgendwann einsetzen und irgendwann auch wieder abbrechen, dem wird das Bühnenhafte, das Inszeniert-Erscheinende der eigenen Existenz bewusst. Wer Glück hat, hält sich selbst für den Regisseur des eigenen Daseins. Der schwedische Meisterregisseur Ingmar Bergman hat sich diese Vorstellung zunutze gemacht, als er 1973 seine
Ausschnitte waren dies, die begannen und wieder endeten und nach jeder "Szene" gnadenlos die Zeit vergehen ließen. Im Wortsinn "inszeniert" war dieser Liebeskollaps, von Liv Ullmann (die mit Bergman zu jener Zeit schon nicht mehr verheiratet war) und Erland Josephson so intensiv gespielt, dass sich bis heute die Legende hält, die Miniserie habe die Zahl der Ehescheidungen nicht nur in Schweden sprunghaft ansteigen lassen. Der abgründige Pas-de-Deux für ein nuancenbegabtes Schauspielduo bewies seine Bühnentauglichkeit später dann tatsächlich auf dem Theater: Die Bühnenfassung der Serie wird auch heute noch gern gespielt, den Golden Globe hatte sich Bergman seinerzeit allerdings für eine aus der Serie zusammengeschnittene Filmversion abgeholt. Indem er in Struktur und Titel das Inszeniertsein dieser Ehe-Szenen derart betonte, machte er das Un-"Echte" daran explizit deutlich, um zugleich dadurch, dass das, was man da sah, so sehr an die Nieren ging, deprimierte und frustrierte, klarzumachen, dass es eben letztlich die Kunst braucht, um das Leben zu imitieren - eine Vorstellung, die dem Authentizitätsfetisch heutiger Fernseh- und auch vieler Filmproduktionen krass zuwiderläuft.
Die Neuverfilmung von "Szenen einer Ehe" nun,
Dass dies gelingt, ist, diesen Schluss lassen die beiden ersten Episoden bereits zu, vor allem das Verdienst der beiden bestens aufeinander eingestellten Stars. Oscar Isaac (derzeit in
Schon wie sie in der ersten Eheszene, einem Interview, in dem sie im Wohnzimmer ihres schmucken Hauses in einem Bostoner Vorort von einer Doktorandin (Sunita Mani aus
Das haben Jonathan und Mira mit Johan und Marianne aus der Bergman-Serie ebenso gemeinsam wie vieles andere. Anders als damals hat das Paar in der neuen Serie nur eine anstatt zwei Töchter, doch wie damals wird schon in der Eröffnungsfolge ein befreundetes Paar als Kontrastfolie zum Abendessen geladen: Kate (Nicole Beharie aus
Hagai Levi zieht dann, im Vergleich zum Original, das Tempo an, streicht den Inhalt der damaligen zweiten Episode quasi komplett und geht gleich in medias res der Beziehungsauflösung - der große Unterschied zur Siebzigerjahreversion liegt allerdings darin, dass er dabei die Rollen vertauscht. In "Scenes from a Marriage" ist es die Frau, Mira, die permanent auf Reisen, beruflich auf Achse und unter ständig neuen Leuten ist, und es ist dann eben auch Mira, die relativ bald in der zweiten Folge jene Sätze spricht, die an jede Beziehung die Axt anlegen würden: "Ich habe mich in jemand anderen verliebt." Wie sich herausstellt, liebt Mira, und das schon länger, einen deutlich jüngeren israelischen Start-Up-Geschäftsmann, für mehrere Monate möchte sie mit ihm nach Tel Aviv reisen, die Trennung mit Jonathan will sie natürlich auch. Jonathan, der sich ohnehin die meiste Zeit um die kleine Tochter kümmert, werde das schon schaffen alleine in dieser Zeit, ab und an wolle sie fürs Wochenende anreisen, außerdem gebe es ja Zoom. Das Gespenstische an der zweiten Folge ist die grenzmasochistische Ruhe, mit der sich Jonathan all dies anhört: Der sanfte Intellektuelle sieht und hört geduldig zu, wie seine Gattin in wenigen Minuten alles, was für sie gemeinsam steht, einreißt. Oscar Isaac spielt das so, als habe Jonathan seit Monaten oder Jahren auf diesen Moment gewartet, als müsse er gar nicht mehr groß reagieren auf das, was sich da abspielt.
Wenn man aber die heftigen, hasserfüllten Auseinandersetzungen noch präsent hat, die sich in der Bergman-Version im weiteren Verlauf abspielen, kann man sich schon ungefähr ausmalen, was sich in der Neufassung noch entladen wird - auch in Isaacs Jonathan. Sympathiepunkte möchte auch die Neufassung erklärbar nicht verteilen; Mira ist hier genauso sehr keine Schurkin wie es Johan in der 1973er-Fassung war - am Kollaps einer langjährigen Beziehung ist in der Regel ja nicht nur einer alleine schuld. Und so kann auch Jessica Chastain alle Register ziehen, von der existenziell Verzweifelten, die ihrem Noch-Mann entgegenschleudert, sie habe sich schon seit Monaten aus dem Ehebett fortgewünscht, zur brutal Verletzenden, zur vom Selbsthass Gepeinigten hin in die große, alles verschlingende Ratlosigkeit. Es wird rasch klar in Levis Version: Diese fünf Episoden sind kein Deut leichter konsumierbar als das Original.
So bekommt man in der Bewertung tatsächlich ein nicht unbeträchtliches Problem: "Scenes from a Marriage" ist fraglos ein Schauspielfest, makellos eingerichtet in einer geschmackssicheren Mise en Scène. Die einstündigen Folgen vergehen wie im Flug, so dicht sind die Dialogszenen gebaut, so wenig Spannungsverlust lassen die Stars zu. Und doch bleibt die Frage nach der grundlegenden Notwendigkeit dieses Remakes bestehen: Die Modernisierung des Plots mit der Umgewichtung des weiblichen Parts ist nachvollziehbar, stellt die Dynamik des Geschehens aber nicht grundlegend auf den Kopf, zumal Levi dem Lauf des Ehekollapses bei Bergman (zumindest in den ersten Episoden) sehr getreulich folgt. Ist es also so eine Sache wie eine neue "Hamlet"-Inszenierung, die an fast jedem Theater alle paar Jahre wieder herausgebracht wird? Aber selbst in der tiefsten Theaterprovinz versuchen sich die Regisseure - mal glücklich, oft nicht - an neuen Herangehensweisen; ein komplett neuer Blickwinkel ist bei Levi aber nicht zu verzeichnen.
"Scenes from a Marriage" bleibt so am Ende ein Vergleichsprodukt für all jene, die das Original kennen oder lieben, besonders interessant ist es außerdem noch für Isaac- oder Chastain-Fans. Doch all jenen, die die "Szenen einer Ehe" noch nie gesehen haben, würde - und müsste - man am Ende immer noch die Bergman-Variante empfehlen. Die ist und bleibt zu Recht ein so großer Klassiker der TV- und Filmgeschichte, dass sie eine noch so gut gespielte Neufassung schlicht nicht (mehr) erreichen kann. Zugleich wäre es allerdings unfair, nur aus diesem Grund von der neuen Variante abzuraten. Gut ist sie definitiv - auch wenn man sich ihr, wie der Bergman-Fassung, schon bewusst aussetzen wollen muss. Leicht ist das nicht. Für die Zuschauer sind es, so oder so, peinigende Stunden über Leid, Bitterkeit und Verzweiflung.
Wenn der Abspann der Episoden durchläuft, fällt auf, dass man die Backstage-Eingangsszenen im Verlauf der einstündigen Folge völlig vergessen hatte. Erst wenn man die ganzen Namen der beteiligten Crewmitglieder sieht, erinnert man sich wieder daran, wie Isaac und Chastain zu Beginn maskenbewehrt über das Filmset schlichen. Man erinnert sich daran, dass das Eigenheim ihrer kollabierenden Träume bloß ein paar Wände in einem Studio sind, angerichtet in inszenierten Szenen; dass da Scheinwerfer an der Decke festgeschraubt sind, über Türen, hinter denen der Regisseur "Action" ruft und "Cut". Und doch stellt man sehr schnell fest, dass das Sterben einer Liebe selbst dann schmerzt, wenn dieser Tod nur in Pappkulissen stattfindet.
Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten beiden Episoden von "Scenes from a Marriage".
Die Miniserie "Scenes from a Marriage" hat aktuell ihre Weltpremiere beim US-amerikanischen Pay-TV-Sender HBO. Parallel dazu werden die Folgen im englischen Originalton on Demand bei Sky in Deutschland veröffentlicht. Ab dem 19. November 2021 erfolgt die Ausstrahlung der synchronisierten Fassung bei Sky Atlantic.
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