Das Film- und Fernsehserien-Infoportal

Log-In für "Meine Wunschliste"

Passwort vergessen

  • Bitte trage Deine E-Mail-Adresse ein, damit wir Dir ein neues Passwort zuschicken können:
  • Log-In | Neu registrieren

Registrierung zur E-Mail-Benachrichtigung

  • Anmeldung zur kostenlosen Serienstart-Benachrichtigung für

  • E-Mail-Adresse
  • Für eine vollständige und rechtzeitige Benachrichtigung übernehmen wir keine Garantie.
  • Fragen & Antworten

TV-Kritik/Review: 3%

Fesselndes Drehbuch und starke Jungschauspieler sorgen für überraschend gelungene Netflix-Serie aus Brasilien - von Marcus Kirzynowski
(05.12.2016)

Sie wollen zu den 3% gehören...
Sie wollen zu den 3% gehören...


Unter den eigenproduzierten Serien, die Netflix inzwischen fast im Wochenrhythmus veröffentlicht, finden sich immer öfter auch nicht englischsprachige. Als Teil der Strategie des VoD-Anbieters, verstärkt ausländische Märkte mit lokalen Produktionen zu erobern, gibt es kurz nach der ersten französischen Netflix-Serie ( "Marseille") und noch vor der ersten deutschen ( "Dark") die erste brasilianische. Anders als bei fast allen anderen seiner Inhalte hat sich der Streamingdienst diesmal allerdings nicht die Mühe gemacht,  "3%" in alle möglichen Sprachen zu übersetzen. Zwar gibt es skurrilerweise eine englische Synchronisation, aber keine deutsche. Wer des Portugiesischen nicht mächtig ist, hat also die etwas seltsame Wahl zwischen einer OmU- und einer englischen Nichtoriginalfassung - immerhin sind deutsche Untertitel verfügbar. Hat man sich aber einmal an dieses Sprachwirrwarr gewöhnt, wird man reichlich belohnt: Das dystopische Science-Fiction-Drama gehört zum Besten, was Netflix bisher in Auftrag gegeben hat.

Das Grundkonzept klingt zunächst nicht neu: In einer unbestimmten Zukunft ist die Gesellschaft in zwei krass divergierende Teile gespalten. Der Großteil der Menschen lebt auf dem Festland in Armut, in überbevölkerten Städten, die eher an Slums erinnern. Eine kleine Elite hingegen darf sich auf einer Insel im Paradies fühlen, in dem es ihr an nichts fehlt. Die einzige Chance, die Seite wechseln zu können, haben die im Elend Aufgewachsenen, wenn sie 20 Jahre alt werden. Einmal im Jahr können sich alle, die dieses Alter erreicht haben, zu einem Auswahlverfahren anmelden, dessen Sieger auf die Insel ziehen dürfen. Aber pro Jahrgang überstehen nur drei Prozent den schwierigen Prozess.

Es ist eine Mischung aus den "Hunger Games" und der CW-Serie "The 100", die sich Pedro Aguilera hier ausgedacht hat. Eine größere Zahl von Jugendlichen muss gefährliche und teils absurde Prüfungen und Kämpfe überstehen - manchmal als Gruppe, manchmal jeder gegen jeden. Zwar geht es hier nicht (direkt) um Leben oder Tod, aber trotzdem um alles oder nichts. Story und Design erinnern zudem an SF-Filme wie "Logan's Run", "Die Insel" oder "Cube". Mit letzterem hat die Serie gemein, dass ein Großteil der Handlung tatsächlich aus dem Lösen der diversen Testaufgaben besteht. Die reichen von relativ simplen Übungen in logischem oder räumlichem Denken bis zu Psychospielchen und komplexen sozialpsychologischen Experimenten. Ihren Höhepunkt erreicht die Serie mit der vierten Folge, in der ein Gefangenenexperiment (die Kandidaten werden ohne Nahrung und Wasser in einem verschlossenen Wohncontainer eingesperrt und können nur überleben, wenn sie miteinander kooperieren) nach anfänglichen Erfolgen völlig entgleist. Als sich einer der Probanden, der bis dahin ganz sympathische Marco (Rafael Lozano) zum Tyrann aufschwingt, der mit Hilfe seiner Entourage die anderen ausbeutet, nimmt der Test Milgram-artige Züge an. Eine brillant inszenierte Folge, unheimlich spannend und zugleich niederschmetternd.

Überraschend vielschichtig: Jo?o Miguel als Ezequiel
Überraschend vielschichtig: Jo?o Miguel als Ezequiel

Wie überhaupt das Menschen- und Gesellschaftsbild, das die Macher in der Serie entwerfen, kein allzu positives ist. Die Bezüge zur Realität liegen dabei auf der Hand: Die gezeigte Gesellschaft ist letztlich eine konsequente Fortentwicklung unseres kapitalistischen Systems, das in Brasilien sicher schon heute krassere Unterschiede zwischen Arm und Reich produziert als im auch nicht gerade gerechten bundesdeutschen Wirtschaftssystem. Während eine selbsternannte Elite von drei Prozent in Wohlstand und Frieden lebt (man hätte auch ein Prozent wählen können, um noch deutlicher an die Occupy-Wall-Street-Bewegung anzuknüpfen), werden 97 Prozent der Menschen bewusst in Armut gehalten - immer mit dem Versprechen, dass sie durch ein faires, für jeden gleiches Verfahren die Chance haben, selbst zur Elite zu stoßen (der American Dream lässt grüßen). Fast alle akzeptieren das, weil sich natürlich jeder für einen Teil der geistigen Elite hält und deshalb gute Chancen sieht, zu den Auserwählten zu gehören. Uns Zuschauern wird jedoch schnell klar, dass das Verfahren weder fair noch gerecht ist.

Die Macher sind mit einem bereits 2011 unabhängig produzierten Piloten (in drei jeweils etwa zehnminütigen Teilen, die auch auf YouTube zu sehen sind) auf die Suche nach einem Sender gegangen. Der enthielt bereits die Grundelemente, wobei die Netflix-Version aber nicht nur im Budget deutliche Unterschiede aufweist. Während in der Urfassung der Umgangston der Verfahrensmitarbeiter gegenüber den Kandidaten militärisch ist und die Uniformen an KZ-Aufseher erinnern, ist die Ansprache der Oberen in der Endfassung eher die eines Bewerbungscoaches oder Unternehmenssprechers: Der Tonfall ist freundlich und motivierend, der Umgang höflich - so lange, bis ein Kandidat ausscheidet. Eine interessante Verschiebung, die den kapitalismuskritischen Eindruck des Projekts noch verstärkt.

Neben den einzelnen Tests, in deren Verlauf sich schnell eine Kerngruppe von vier bis fünf Kandidaten als "Helden" der Serie herauskristallisiert, hat die Serie noch zwei andere tragende Elemente: Zum einen beleuchtet sie auch die andere Seite des Verfahrensleiters und seiner Mitarbeiter ausführlich. Dieser Ezequiel (Jo?o Miguel) wirkt zunächst wie ein egomanischer, brutaler Tyrann, ohne Mitgefühl für die Probanden. Wesentlich ambivalenter erscheint er, nachdem die fünfte Folge sich ausschließlich seiner Vorgeschichte gewidmet hat, wir seine Motivation und innere Zerrissenheit plötzlich besser verstehen. Es spricht immer für eine Serie, wenn sie es sich leisten kann, schon nach ein paar Episoden den Fokus komplett auf eine Nebenfigur zu verschieben und die eigentlichen Protagonisten links liegen zu lassen, ohne an Intensität zu verlieren. Zum anderen gibt es in fast jeder Folge Rückblenden, die sich jeweils dem Schicksal eines der Kandidaten annehmen, bevor sie sich zum Auswahlprozess gemeldet haben. Dabei sind gleich mehrere gar nicht diejenigen, als die sie sich ausgeben, oder haben gänzlich andere Motivationen als auf der anderen Seite glücklich zu werden. Wie überhaupt das Licht, in dem wir die Hauptfiguren sehen, sich im Laufe der acht Folgen bei allen ändert. So entpuppt sich vor allem Rafael (Rodolfo Valente), anfangs scheinbar ein selbstsüchtiger Betrüger, als wesentlich vielschichtiger als angenommen. Das ist ein großes Plus der Serie: Niemand ist einfach gut oder böse, obwohl die Grenzen zwischen beiden Seiten zu Beginn doch so klar abgesteckt scheinen.

"3%" ist relativ geradlinig inszeniert (Regie unter anderen: Cesar Charlone, Kameramann von "City of God") und spielt sich überwiegend in geschlossenen Räumen ab. Das schadet dem Sog nicht, der sich spätestens nach der dritten Folge einstellt. Zu dem tragen neben dem durchdachten Produktionsdesign und dem fesselnden Drehbuch auch die durchweg guten Jungschauspieler bei, von denen man die eigentlichen Hauptdarsteller Bianca Comparato (als gutmütige Michele) und Michel Gomes (als willensstarker Rollstuhlfahrer Fernando) unbedingt noch erwähnen muss. Was "3%" über seine erzählerischen und inszenatorischen Qualitäten hinaus von der Masse neuer Serien abhebt, ist aber die Aussage: Am Ende wird sich am ungerechten System nie etwas ändern, wenn nicht jemand beginnt, sich dagegen aufzulehnen. Bernie Sanders würde diese Parabel sicher gefallen.

Basierend auf Sichtung der kompletten ersten Staffel der Serie.

Meine Wertung: 4/5


Marcus Kirzynowski
© Alle Bilder: Netflix


 

Über den Autor

  • Marcus Kirzynowski
Marcus Kirzynowski ist Düsseldorfer Journalist und Serienfreund; wuchs mit "Ein Colt für alle Fälle", "Dallas" und "L.A. Law" auf; Traumarbeitgeber: Fisher & Sons, County General Notaufnahme; die Jobs auf dem Battlestar Galactica und im West Wing wären ihm hingegen zu stressig; Wunschwohnort: Cicely, Alaska. Schreibt über amerikanische und europäische TV-Serien sowie andere Kultur- und Medienthemen, u.a. für TV Wunschliste und sein eigenes Online-Magazin Fortsetzung.tv.

Beitrag melden

  •  

Leserkommentare

  • Sentinel2003 schrieb am 08.12.2016, 15.19 Uhr:
    Amazon veröffentlicht aber auch schon fast im Wochenrhytmus neue Serien! :-)