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TV-Kritik/Review: "Lost in Space": Stark getrickst, spannend, überflüssig!
(12.04.2018)
Das hätte sich der Berner Pfarrer Johann David Wyss gewiss nie träumen lassen, damals, im 18. Jahrhundert: dass die Gutenachtgeschichte, die er seinen Kindern damals erzählte und die von diesen dann in Buchform veröffentlicht wurde, dereinst mal ins Weltall verlegt, zur TV-Serie verwurstet und dann, im 21. Jahrhundert, zur Binge-Vorlage eines aufwendig produzierten Zehnteilers werden würde, auf einem Streamingdienst namens Netflix. In Bern hätte er damals nur kurz gelacht und dann zum Abendgebet geläutet.
"Die Schweizer Familie Robinson", von Wyss ersonnen als Variante zu Daniel Defoes Jahrtausendroman "Robinson Crusoe", hat es weit gebracht. Dabei ist die populärste Verfilmung dieser Geschichte einer an fernen Gestaden gestrandeten Familie an uns in den deutschsprachigen Gebieten lange vorbeigegangen: In der Serie "Lost in Space" jagte Autor Irwin Allen die Robinsons per Raumschiff ins All, wo sie statt als Bewohner einer fernen Kolonie versehentlich auf einem namenlosen Planeten stranden, in Begleitung eines dubiosen Arztes und eines herzigen Roboters. Die drei Staffeln waren in den Sixties ein großer Hit für den produzierenden Sender CBS, auf deutschen Mattscheiben kamen sie dagegen erst mit einem Vierteljahrhundert Verspätung an. Der "Kabelkanal" strahlte sie 1992 erstmals aus, unter dem Titel
Nun ist also Netflix auf den verlässlich dahinratternden Retrozug gesprungen und will es besser machen. Mit großem Aufwand, sehenswerten Spezialeffekten und (ein paar) neuen Twists wird dabei mehr oder weniger dieselbe Geschichte erzählt wie früher, was auch heißt, dass diese Wiederauffrischung durch den begrenzten Cast die alten kammerspielartigen Züge behält. Was das Autorenduo Matt Sazama und Burk Sharpless (bekannt für actionlastige B-Filme wie
Denn wo das alte CBS-"Lost in Space" aus heutiger Sicht zwar nicht trashig, aber doch ziemlich trutschig wirkt in seiner affirmativen Feier heiler Familienwelten, zollen Sazama und Sharpless unseren emotionalen Krisenzeiten Tribut: Soldat John (Toby Stephens,
Die Pilotepisode setzt kurz vor diesem Desaster ein: Als Teil der 24. Kolonisatorengruppe mit Ziel Alpha Centauri sitzt die Familie - neben John und Maureen sind dies ihre Töchter Judy (Taylor Russell) und Penny (Mina Sundwall) sowie Söhnchen Will (Maxwell Jenkins) - in der Schwerelosigkeit ihres Miet-Raumschiffs Jupiter II am Tisch und versucht sich trotz fehlender Gravitas im Kartenspiel, als es im Mutterschiff kräftig rummst, die Jupiter II davongeschleudert wird und auf einen namenlosen Planeten stürzt - ausgerechnet ins ewige Eis eines majestätischen Gletschers. Damit beginnt die Misere der alten Serie aufs Neue: Es ist Crusoes Robinsonade im Familien-Set, verlegt von den Stränden des Romans in die kalte Unwegsamkeit einer Einöde, die schwer nach Kanada aussieht, via CGI aber mit spacigen Bäumen und bizarren Fels- und Eisformationen auf extraterrestrisch gebürstet wurde. Immerhin, Glück im Unglück: Auf dem Planeten herrscht eine erdähnliche Atmosphäre, mit Schwerkraft und Sauerstoff. So müssen die Schauspieler also keine Helme tragen - puh!
Die Serie folgt einer eher simplen Dramaturgie der episodischen Lebensgefahr: Beständig droht irgendein Familienmitglied in ausweglose Situationen zu geraten, aus denen es in letzter Sekunde gerettet werden kann. Meist tickt sogar ein Countdown. Die angehende Ärztin Judy wird ziemlich früh in der Pilotfolge während eines Tauchgangs zum (wie in "Planet der Affen") im See versunkenen Raumschiff von Eis umschlossen und verbringt dort den Rest der Episode eingefroren, während die Familie verzweifelt das Eis mit Magnesium wegzubrennen versucht und der vermeintlich Sterbenden "Moby Dick" vorliest. Judy-Darstellerin Russell klebt dabei die ganze Zeit eine Im-Helm-Kamera an der zitternden Backe. Natürlich wird sie gerettet.
Der kleine Will landet nach einem Sturz in eine Gletschespalte in einem grünen Hain, wird dort von einem Waldbrand heimgesucht, aber von der größten Kultfigur der alten Serie gerettet: dem Roboter. Der ist hier zwar immer noch ein solcher ("Er wurde gemacht, nicht geboren!", analysiert Maureen), doch ähnelt er mit seinem Gesichts-Screen eher einem humanoiden Alien. Noch in der ersten Folge wird klar, dass die Macher dem Roboter hier einen ambivalenteren Hintergrund verpasst haben als seinem damaligen Gegenstück. Und als eine Art Ersatzvater für Will wird er für John, den seinen Kindern entfremdeten Trennungspapa, schnell zum Objekt der Eifersucht.
Während die Robinsons anfangen, Problem um Problem anzugehen, um sich auf dem lebensfeindlichen Planeten einzurichten und Fans der alten Serie sich über die Gimmicks von früher freuen dürfen (den robusten Gelände-Buggy "Chariot" etwa), werden kurze Flashbacks eingeflochten, die die Situation der Robinsons vor dem Antritt ihrer Reise beleuchten: Man erfährt vom zerrütteten Zustand der Ehe von John und Maureen; vom Meteoriten, der auf die Erde stürzte; von einer Umweltkatastrophe in dessen Folge; von manipulierten Tests, mit denen Maureen sicherstellte, dass alle Familienmitglieder in die "Reisegruppe" aufgenommen wurden; und von den Ereignissen kurz vor dem Crash.
Erst ganz am Ende der ersten Episode kommen zwei weitere, aus der alten Serie bekannte Figuren ins Spiel, die ebenfalls auf dem Planeten notlandeten: der hemdsärmelige Mechaniker Don West (Soap-Veteran Ignacio Serricchio,
So erfüllt das neue "Lost in Space" die Erwartungen, die man an ein solches Remake haben kann - wenn man die familienfreundliche Messlatte anlegt und auf allzu große Überraschungen verzichtet. Regisseur Neil Marshall (
Dazu gehört auch die (bei Netflix schon in
Gut möglich also, dass mit diesen charismatischen Jung-Schauspielern, Parker Posey als Intrigantin und allerhand gut getrickstem Space-Zinnober genügend Schauwerte aufgeboten sind, um zehn Episoden lang zu fesseln. Doch wie bei so vielen vergleichbaren Wiederverfilmungsprojekten bleibt auch hier die Frage nach dem Warum im Raum stehen: So perfekt und aufwendig alles gemacht ist, so seelenlos und schematisch wirkt es auch, zumindest phasenweise. Dazu passt in die Handlung eingefügtes Product Placement aggressivster Sorte. (Gut zu wissen, dass sich das Packungsdesign einer bestimmten Keksmarke auch in der Zukunft nicht verändert haben wird.) Einen wirklich neuen Zugang zum Stoff, der über die bekannten Figurenzusammenhänge hinausgeht und das Leben auf dem fremden Planeten komplexer aufarbeiten würde als nur über stetig neue Gefahrensequenzen, den scheinen die Autoren entweder nicht gefunden oder gar nicht erst gesucht zu haben. Was bleibt, ist solide, spannende Familienunterhaltung.
Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten zwei Episoden von "Lost in Space".
Gian-Philip Andreas
© Alle Bilder: Netflix
"Lost in Space" feiert weltweit bei Netflix am 13. April seine Weltpremiere. Die Auftaktstaffel umfasst zehn Episoden.
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