Das Film- und Fernsehserien-Infoportal

Log-In für "Meine Wunschliste"

Passwort vergessen

  • Bitte trage Deine E-Mail-Adresse ein, damit wir Dir ein neues Passwort zuschicken können:
  • Log-In | Neu registrieren

Registrierung zur E-Mail-Benachrichtigung

  • Anmeldung zur kostenlosen Serienstart-Benachrichtigung für

  • E-Mail-Adresse
  • Für eine vollständige und rechtzeitige Benachrichtigung übernehmen wir keine Garantie.
  • Fragen & Antworten
Miniserie bei arte verzichtet auf leichte Unterhaltung und billige Effekte
Nach dem Anschlag warten aufreibende Aufgaben auf Samira (Lara Chedraoui) und ihren Kollegen Glen (Mattias Van de Vijver, M.) sowie Blanche (r.)
ARTE/Jo Voets
TV-Kritik/Review: "Plötzlich alles anders": Beeindruckende Serie über Terroranschlag/ARTE/Jo Voets

Geschichten über Hinterbliebene oder Überlebende mit schweren Schäden erzeugen keine Spannung, sondern drücken die Stimmung der Zuschauerinnen und Zuschauer. Die Macher von  "Plötzlich alles anders" verordnen dem Publikum die anstrengende Aufgabe, traurige Schicksale zu erdulden. In Belgien hat die Miniserie viele Menschen bewegt: Sie erinnert daran, dass am 22. März 2016 Bomben in der Metro und auf dem Flughafen von Brüssel explodierten. Unter dem Originaltitel "Lost Luggage" veranschaulichen die sechs Episoden, was nach den Attentaten am Brussels Airport geschehen sein könnte. Gewalt und Leid verändern das Leben etwa der Polizistin Samira Laroussa (Lara Chedraoui). Legen wir also Popcorn und Chips beiseite, um ausnahmsweise auf leichte Unterhaltung zu verzichten.

Wer lässt freiwillig Ängste hervorkriechen? Die echte Bedrohung gruselt nicht angenehm wie etwa Schreckensvisionen über Seuchen: Trotz Corona feiern zum Beispiel  "The Last of Us" und  "Sløborn" Erfolge, denn solche Abenteuer auf der Couch machen Spaß. Ein wahres Ereignis wie beim Film  "Dreizehn Leben" erschüttert lediglich Heulsusen, zumal ein Happy End für gute Laune sorgt. Hingegen endet "Plötzlich alles anders" keineswegs glücklich: In der Miniserie und im wahren Leben kamen 32 Leute um. Verletzte müssen bis heute Schmerzen und Operationen erdulden. Erst im Dezember 2022 wurde das Gerichtsverfahren gegen mögliche Täter eröffnet. In einem Online-Artikel zitierte die  "Tagesschau" eine Nebenklägerin, die bei den Anschlägen schwer verwundet worden war: Ich fühle Unverständnis, keine Wut. Unverständnis und Traurigkeit - weil das viele Leben beschädigt hat. "Plötzlich alles anders" fängt diese Stimmung ein. Figuren wissen nicht, was sie mit ihrer Verzweiflung anfangen sollen oder wie sie mit verpassten Chancen weitermachen können. So beschimpft Willy (Annet Matherke) Samira, weil die Polizistin nun mal vor ihr steht.

Kurz vor der Explosion denken Merel (Marieke Dilles, M.) und Stan (Lukas De Wolf) nur an den Check-In.
Kurz vor der Explosion denken Merel (Marieke Dilles, M.) und Stan (Lukas De Wolf) nur an den Check-In. ARTE/Jo Voets

Nach dem ersten Schock verdrängen die Zeuginnen und Zeugen vor den Bildschirmen die Ereignisse. Niemand will sich den Urlaub vermiesen lassen. Die verstörenden Erzählungen passen weder zu einem Streaming-Dienst noch zu einem Privatsender. Im öffentlich-rechtlichen Fernsehen erbarmt sich ARTE, die Heimat für anspruchsvolle oder ungewöhnliche TV-Serien. Mit einem großen Erfolg ist in Deutschland kaum zu rechnen. Vielleicht schalten kritische Zeitgeister mindestens ein oder zwei Folgen ein. In Frankreich dürfte ARTE stärker mit dieser Miniserie auffallen: Die Terrorangriffe 2015 in Paris haben die Nation geprägt. Sechs Beteiligte sollen auch in Brüssel verantwortlich sein.

"Plötzlich alles anders" dreht sich um Opfer, Hinterbliebene und Hilfskräfte. Zum Einstieg packt Benny Goossens (Yves Degryse) einen Rucksack. Unterdessen starten Polizistin Samira Laroussa und ihr Mann Tom (Jeroen Van der Ven) fröhlich in den Tag. Das Paar erwartet ein Baby in sechs Monaten. Nach dem gemeinsamen Frühstück fährt Samira zu ihrem Arbeitsplatz. Gleichzeitig bricht Benny aus seinem Hotel auf. In der Abflughalle kündigt er telefonisch seiner Frau Adamma Lukoki (Babetida Sadjo) und seiner Tochter Neheisha Goossens (Eline Amouzou) an, dass er früher als gedacht heimkehre. Samira trinkt Kaffee vor dem Gebäude. Eine Explosion wirft sie zu Boden.

Polizistin Blanche (Isabella van Hecke) hilft, die Gepäckstücke zu sortieren und zu bestimmen.
Polizistin Blanche (Isabella van Hecke) hilft, die Gepäckstücke zu sortieren und zu bestimmen.ARTE/Jo Voets

Zehn Tage später frühstücken Samira und Tom mit veränderter Laune. Sie lehnt Kontaktversuche ihres Vaters ab. Private Probleme spielen eine größere Rolle als vor den Anschlägen. Ängste haben die Fröhlichkeit verdrängt. Samira kehrt zurück zum Flughafen, wo jetzt wieder Maschine starten. In der Dienststelle versucht Kommissar Verlaak (Willy Thomas), das Team mit einer Ansprache und mit leckerem Gebäck zu motivieren. Im Gegenzug informiert er seine Leute, dass sie zusätzliche Aufgaben übernehmen müssen - trotz des Personalmangels seit den Anschlägen. Das Innenministerium lässt zweitausend Gepäckstücke und etliche Einzelteile in einem Hangar abladen. Der überforderte Kommissar Verlaak befiehlt Samira: Die müssen irgendwie zu den Opfern oder zu den Hinterbliebenen zurück. Eventuell wird die Militärpolizei Samira sowie Blanche (Isabelle van Hecke) und Glen (Mattias Van de Vijver) unterstützen.

In der ersten Folge füttert der alte Fiesling Dirk Goossens (Jaak van Assche) seine unzähligen Ziervögel. Insgeheim weint seine Frau Yvonne Goossens (Frieda Pittoors) über den Fotos von ihrem toten Sohn Benny. Glückwunschkarten zur Goldenen Hochzeit schmücken die Wohnung. Samira besucht den Kollegen Peter (Elias Vandenbroucke) im Krankenhaus, wo er bald eine Beinprothese erhalten soll. Etwas später begegnet die Polizistin Bennys Tochter und seiner Frau: Sie verlangen den Rucksack. Samira begleitet Adamma und Neheisha zum Hangar mit den Gepäckstücken. Der Anblick schockiert Mutter und Tochter so sehr, dass sie ins Freie stürzen und Adamma ihren Mageninhalt erbricht. Samira erfährt von Neheisha, dass Benny Frieden mit seinen Eltern schließen wollte: Doch der Rassist Dirk Goossens verachtet seinen Sohn weiter für die schwarze Frau und Tochter, mit denen er im Kongo lebte. Zögerlich reagiert Samira auf solche Sorgen. Am Ende tötet Dirk Goossens seine geliebten Vögel mit der Hand. Yvonne Goossens sichtet gemeinsam mit der Enkelin Fotos der vergangenen 20 Jahre. Wie soll es weitergehen?

Die Angehörige Willy (Annet Malherbe, r.) lässt ihre Wut an Samira Laroussa (Lara Chedraoui) aus.
Die Angehörige Willy (Annet Malherbe, r.) lässt ihre Wut an Samira Laroussa (Lara Chedraoui) aus. ARTE/Jo Voets

Bald beherrscht die neue Aufgabe Samira. Einsam auf einer Toilette der Dienststelle verliert sie den Fötus: Wer weiß, ob die Explosion verzögert die Fehlgeburt ausgelöst hat? Jedenfalls schwindet das Privatleben, und die Beziehung mit Tom bröckelt. Mag sein, dass hier Kitsch in "Plötzlich alles anders" einwandert.

Generell spendieren Drehbuch und Regie keinen billigen Trost. Pathos, Racheschwüre und Volkszorn entfallen. Andere Serien bejubeln die Jagd auf die Verbrecher oder nutzen Terrorismus als Anlass für Action. Dann dürfen Opfer weinen, interessieren aber die Charaktere nicht wirklich. Indes lässt  "Wenn die Stille einkehrt" aus Dänemark die Betroffenen auf ihr Schicksal zulaufen. Diese Art von Spannung erlaubt "Plötzlich alles anders" am Rande. Szenen von Mitleid und Unterstützung wecken Hoffnung. Wiederum wächst kein Denkmal für Helden: Damit präsentiert ARTE kein Gegenstück zum Doku-Drama  "9/11 - Die letzten Minuten im World Trade Center", das stärker Effekte einsetzt und Gefühle manipuliert.

Eigentlich freut sich Samira über den Besuch von ihrem Bruder Younes (Yassine Ouaich) - aber er bereitet ihr zusätzliche Probleme.
Eigentlich freut sich Samira über den Besuch von ihrem Bruder Younes (Yassine Ouaich) - aber er bereitet ihr zusätzliche Probleme.ARTE/Jo Voets

"Plötzlich alles anders" taugt nicht als Unterhaltungsprogramm. Dennoch ist die Miniserie wichtig. Wer kennt eine Produktion etwa aus Deutschland, die ähnlich sensibel die Interessen von Gewaltopfern vertritt?  "Todesspiel" von 1997 zeigt, welche Ängste die Passagiere in einem 1977 entführten Flugzeug quälen. Heinrich Breloer setzte durchaus auf Effekte bei diesem Doku-Drama. Hingegen regt "Plötzlich alles anders" weniger auf. Wer den Schmerz und ein wenig Hoffnung nachempfinden will, sollte einschalten. Allerdings müssen Zuschauerinnen und Zuschauer Ratlosigkeit und Trauer aushalten. Letztlich könnte Samira ihre Mission geläutert beenden: Erstmals stellt sie sich ihrer Lebensgeschichte. Damit dient sie als Vorbild in schwierigen Situationen und Beziehungen.

Dieser Text beruht auf Sichtung der Hälfte der sechsteiligen Miniserie "Plötzlich alles anders".

Meine Wertung: 3.5/5

arte stellt "Plötzlich alles anders" vom 20. April bis 26. Mai online bereit. Außerdem zeigt der Sender alle sechs Episoden nacheinander am Donnerstag,den  27. April ab 21.50 Uhr bis in die Nacht.


 

Über den Autor

Seit 2016 hat Stefan Genrich Websites entwickelt und an einer Hochschule unterrichtet. Vor einer siebenjährigen Pause bei TV Wunschliste würdigte er das weihnachtliche TV-Programm im United Kingdom: Sein Herz schlägt für britisches Fernsehen. Daher verfolgt er jeden Cliffhanger von „Doctor Who“. Der Journalist kritisiert nebenberuflich Serien. Ihn ärgern Mängel bei ARD und ZDF – oder er genießt „Tagesthemen“ sowie „Nord bei Nordwest“. Frühe Begegnungen mit „Disco“ und „Raumschiff Enterprise“ haben Spuren hinterlassen. Später scheiterte Stefan beim Versuch, die Frisur von „MacGyver“ zu kopieren. Wegen „Star Trek: Strange New Worlds“ und „1923“ mag er Paramount+.

Beitrag melden

  •  

Leserkommentare

  • User 192202 schrieb am 06.05.2023, 16.00 Uhr:
    Bei allem Verständnis und aller Legitimation, dass eine Samira und deren Probleme als Folge eines solchen Anschlags thematisiert werden, aber das Hauptopfer sind und bleiben die etlichen Toten, Verletzten und Schwerstverletzten durch so einen Anschlag durch den Islamischen Staat - und wer die Probleme Samiras anspricht, ohne die Attentäter zu nennen (was direkt miteinander zusammenhängt), nur um nicht rassistisch zu erscheinen (obwohl man den Zeigefinger hebt), der handelt affirmativ rassistisch, die Fakten sind und bleiben Fakten und kein diskriminierender Angriff, wer etwas gegen Terror unternehmen will, muss sich aktiv dagegen einsetzen - von europäischer und von muslimischer Seite, denn die letztere hat auch viel mehr Chancen, bei den potenziellen Tätern durchzudringen, das muss gesagt und diese Verantwortung darf eingefordert werden. Ein Verschweigen verhindert eine Lösung/Vorbeugung. Und wenn man von Sensibilität gegenüber den Opfern spricht: es ist auch zynisch, sich so auf eine Samira zu fokussieren und die Drahtzieher nicht zu nennen, das haben die (es bleibt dabei, ist Fakt: Haupt-) Opfer nicht verdient. Es geht nur gemeinsam, alle zusammen aktiv gegen Terror.