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Mischung aus erinnerungswürdigen Sequenzen und Durchhängern
Plötzlich ein Duke: Eddie Horniman (Theo James) steckt mittendrin in gleich mehreren Schlamasseln.
Netflix
TV-Kritik/Review: "The Gentlemen": Guy Ritchies Netflix-Serie lebt von der tollen Besetzung/Netflix

Anfang des Jahrtausends wurde Guy Ritchie dadurch bekannt, dass er für den coolen Style der Gangsterfilme von Quentin Tarantino die ideale britische Entsprechung fand. Ein knappes Vierteljahrhundert später versucht sich der Filmemacher nun erstmals in Serienform - an einem Spin-Off seines eigenen Kino-Hits  "The Gentlemen". Außer der Grundidee über geheime Marihuana-Farmen auf englischen Adelssitzen hat der Netflix-Achtteiler  "The Gentlemen" jedoch nichts mit dem Film gemein, was seinem Unterhaltungswert zum Glück nicht abträglich ist.

An seine frühen Erfolge konnte Guy Ritchie nie mehr so richtig anknüpfen. Zumindest was ihren Kultstatus anbelangt und den Zuspruch von Publikum und Kritik, kam nach  "Bube, Dame, König, grAS" und  "Snatch" sehr lange nichts mehr von vergleichbarem Belang. Sicher, Ritchie drehte die  "Sherlock Holmes"-Filme und verirrte sich mit  "Aladdin" sogar ins Disney-Realverfilmungsunwesen, doch im Grunde blieb der heute 55-jährige Ex-Ehemann von Madonna immer der Typ, der mit seinen halbseidenen Gangstern, Halunken und Ganoven mit ihrem Cockney-Dialekt und ihren Trainingsanzügen, den bescheuerten Spitznamen und Frisuren und plötzlichen Gewaltausbrüchen das britische Crime-Kino auf ein neues Level brachte - und dort stehenließ.

Insofern war es keine geringfügige Neuigkeit, als es hieß, Ritchie wolle seinen letzten Kinoerfolg ("The Gentlemen" von 2019) nun in Form eines Spin-Offs in Serie bringen. Könnte das funktionieren? Die besten Guy-Ritchie-Filme leben schließlich von ihrem atemlosen Tempo und der hochgestylten Coolness, die mit Augen- und Ohrenfutter und rasanten Schnittgewittern auf lässige Weise die eher auf den Effekt hin zusammengedengelten Plots verdeckt. Die erfreuliche Nachricht: Überwiegend klappt es, dieses Prinzip auf acht Folgen zu strecken. Nicht immer allerdings so gut wie in den ersten beiden (jeweils gut einstündigen) Episoden, die Ritchie selbst inszenierte. Ab der dritten Folge übernehmen dann andere Regisseur*innen und Autor*innen den von Ritchie (mit Matthew Read) konzipierten Plot, der sich dann prompt auf Nebenschauplätzen zu verzetteln droht, im Tempo nachlässt und auch in Sachen Gagdichte den Fuß vom Pedal nimmt - ehe er in den letzten beiden Folgen wieder an Fahrt aufnimmt. Was man also schon mal festhalten kann: Ein oder zwei Episoden weniger hätten sicher nicht geschadet.

Huhn mit Shotgun: Freddy Horniman (Daniel Ings) neigt nicht zur besonnenen Problemlösung.
Huhn mit Shotgun: Freddy Horniman (Daniel Ings) neigt nicht zur besonnenen Problemlösung. Netflix

Der Anfang hingegen ist zunächst einmal Guy Ritchie at his best, was nicht zuletzt an Theo James in der Hauptrolle liegt. Der 39-Jährige, der in der  "Divergent"-Filmreihe bekannt wurde und zuletzt in der zweiten  "White Lotus"-Staffel glänzte, spielt den Protagonisten so stoisch und straight-faced, dass der ganze Wahnsinn, in den er gerät, aufs Schönste an ihm abprallt. Er spielt Eddie Horniman, Sohn aus adligem Hause und Offizier der British Army. Gerade an der syrisch-türkischen Grenze stationiert, ereilt ihn die Nachricht, dass sein Vater, der Duke von Halstead ( "Der Schakal" Edward Fox), im Sterben liegt. Nach dem Tod des Grafen folgt im von lieblichen Schafweiden umgebenen Schlösschen auf dem englischen Lande sogleich die dicke Überraschung: Nicht Eddies älterer Bruder Freddy (Daniel Ings aus  "I Hate Suzie"), ein drogen- und spielsüchtiger Luftikus, erbt den Adelstitel, das Vermögen und den über 6.000 Hektar großen Landsitz - sondern Eddie!

Als große Freude erweist sich dies jedoch kaum, nicht nur wegen der familiären Verwerfungen, die daraus erwachsen. Erstens nämlich stellt sich heraus, dass Freddy bei brutalen Liverpooler Kokainhändlern mit acht Millionen Pfund in der Kreide steht und um sein Leben fürchtet. Zweitens muss er erfahren, dass sich auf dem Familienanwesen eine riesige unterirdische Marihuana-Farm verbirgt - die dem verstorbenen Duke seit Jahren einen steten Cashflow einbrachte. Den kann der "verarmende" Landadel bekanntlich immer gut gebrauchen. Sowohl Eddies Mutter, Lady Sabrina (schön undurchsichtig:  "Nip/Tuck"-Star Joely Richardson), als auch die Bediensteten scheinen längst davon zu wissen. Nur die Horniman-Kinder nicht.

Prompt wird Eddie von der schönen und stets topmodisch gekleideten Susie Glass (Kaya Scodelario aus den  "Maze Runner"-Filmen), die die Geheim-Farm managt, in die Vorgänge eingeweiht. Liebend gern würde er sich allerdings von den illegalen Umtrieben befreien. Doch um seinem Bruder aus dem Schlamassel zu helfen, ist er gezwungen, die Mechanismen der Unterwelt zunächst einmal zu nutzen und sich an deren Spielregeln zu halten, und ehe er sich's versieht, ist er schon hineingesprungen in den Kaninchenbau dieses neuen Lebens...

Vater und Tochter Drogenboss: Susie (Kaya Scodelario) und Bobby Glass (Ray Winstone) treffen sich zum Luxusschmaus - trotz Vaters Inhaftierung.
Vater und Tochter Drogenboss: Susie (Kaya Scodelario) und Bobby Glass (Ray Winstone) treffen sich zum Luxusschmaus - trotz Vaters Inhaftierung. Netflix

Wie Eddie nun zwischen den diversen Gangsterfraktionen vermittelt, die mit dem Marihuana-Business und/oder Schuldenfall irgendwie zu tun haben (oder damit zu tun haben wollen); wie ein Gefallen direkt in die nächste Katastrophe führt und daraus sich ableitende Konsequenzen wiederum neue Konsequenzen gebären; wie groteske Zufälle und plötzliche Bluttaten, surreale Unfälle und unerwartete Täuschungsmanöver in die Gegebenheiten hineinfunken - all dies lässt Guy Ritchie so elegant und unterhaltsam abschnurren wie seit "Snatch"-Zeiten nicht mehr.

Ja, es gibt wieder Dialekt-sprechende Kleinganoven im Trainingsanzug, Schnellfeuer-Dialoge in britischem Straßenslang, eruptive Gewalt und irrlichternden Nonsens, es gibt Zeitlupen und -raffer, ins Bild gekritzelte Erklärsätze, es gibt einen irrwitzigen Schrotflinten-Mord im Hühnerkostüm - und es gibt Vinnie Jones. Der bullige Ex-Fußballer, der in Ritchies ersten Filmen seinerzeit zum Schauspieler umschulte, spielt Geoff, den treuen Wildhüter, der von allem Bescheid zu wissen scheint und eine gewisse Bedrohung ausstrahlt, aber eigentlich ein freundlicher älterer Herr ist, der in seiner Hütte allerlei ungewöhnliche Haustiere hält: Eulen, Krähen. "Ist das ein Fuchs?", fragt Eddie leicht verwirrt. "Ja", entgegnet Geoff ungerührt. Mit Vinnie Jones vor der Kamera stellt sich das alte Ritchie-Gefühl jedenfalls umso schneller ein.

Die Marihuana-Farmen auf Landadelsgebiet, die gab es auch schon im "Gentlemen"-Kinofilm, doch weder dessen von Matthew McConaughey gespielte Hauptfigur noch der windige Reporter Fletcher (Hugh Grant) noch sonst irgendjemand aus dem Film kommt in der Serie vor oder wird auch nur erwähnt. Cast und Plot sind komplett neu, die Ähnlichkeiten liegen allein im beziehungsreichen Aufeinanderprallen von Ganoven und Grafen, von Unter- und Oberschicht, wobei sich hier wie dort schnell verwischt, wer von beiden nun die Halbseideneren sind. "William der Eroberer war schlimmer als Al Capone", heißt es einmal, als darauf Bezug genommen wird, dass sich die britische Upper Class ihr Land ursprünglich zusammenraubte.

Ritchie und seine Mitstreiter basteln sich auf dieser Basis ein bizarr-vergnügliches Panoptikum an Figuren zusammen, wobei hier US- und UK-Schauspiellegenden mit interessanten Newcomern zusammengeführt werden. Giancarlo Esposito spielt seine Gus-Fring-Figur aus  "Breaking Bad" einfach weiter, allerdings als milliardenschwerer Investor mit zwielichtigen Interessen, Ray Winstone ( "Sexy Beast") zieht als Susies Vater Bobby aus dem (Luxus-)Knast die Fäden: Kein anderer Brite ist derart punktgenau auf bräsig-bedrohliche Gangsterfiguren geeicht wie er. Es gibt in der Serie - um nur einige wenige zu nennen - Westentaschenverbrecher, die Sticky Pete heißen (Joshua McGuire aus  "Cheaters"), es gibt Handlanger namens Thick Rick (Gary Beadle), es gibt windige Boxpromoter (Max Beesley), Ausputzer mit Suchtproblem ( "Tatort"-Kommissar Dar Salim in einer köstlichen Episodenrolle), einen wirklich furchterregenden Drogengangster, der zugleich Priester ist (Pearce Quigley mit Moses-Bart) und einen Kleinganoven, der eher ungewollt ins größte Schlamassel gerät (Josh Finan aus  "The Responder"). Es gibt einen adligen Schauspieler mit merkwürdigen Sorgen (Freddie Fox aus  "Slow Horses"), einen Trailer-Trash-Bandenführer (Laurence O'Fuarain aus  "The Witcher: Blood Origin"), außerdem irre Geldwäscher, Nazis, Machetenschwinger, trügerische Fischverkäufer - und  "Game of Thrones"-Tormund Kristofer Hivju, denn man als kontinentaleuropäischen Kontaktmann (mit erhöhten Honorarforderungen - wegen Brexit!) fast nicht wiedererkennt.

Ein Amerikaner in London: Milliardär Stanley Johnston (Giancarlo Esposito, M.) wirft ein verdächtiges Auge auf das Anwesen der Hornimans.
Ein Amerikaner in London: Milliardär Stanley Johnston (Giancarlo Esposito, M.) wirft ein verdächtiges Auge auf das Anwesen der Hornimans. Netflix

Ohne diesen bunt-blutigen Blumenstrauß aus mal grenzdebilen, mal tatsächlich unheimlichen Gestalten wäre "The Gentlemen" tatsächlich nur die Hälfte wert, denn der zentrale Plot um Eddie, der sich Susie immer zugewandter fühlt, ehe das Misstrauen einen Keil zwischen sie treibt; der zudem immer mehr Gefallen daran findet, plötzlich eine Größe im Crime Game zu sein - dieser Plot ist nicht allzu originell und trotz der vielen Überraschungsmomente im Einzelnen in seinen Grundzügen sehr vorhersehbar. Kein Wunder also, dass gerade das Finale ein wenig schwächelt.

Im Vergleich zum Film, der sich noch überwiegend als Jungsveranstaltung gefiel (und wegen einiger anti-asiatischer Entgleisungen Kritik auf sich zog), wurden die Frauenrollen in der Serie aufgewertet: Sowohl Scodelario als Susie als auch Richardson als Sabrina stehen klar im Vordergrund, neben ihnen dürfen beispielsweise Jasmine Blackborow ( "Marie Antoinette") als Eddies Schwester Charly, Chanel Cresswell ( "This Is England") als Freddys genervte Frau Tammy oder Gaia Weiss ( "La Révolution") als belgische Prinzessin diverse Facetten zeigen - was immer noch keine Selbstverständlichkeit ist im machozentrischen Guy-Ritchie-Universum.

Das ganz clevere, genial durchgeplante, doppelbödige und entlarvende Spiel - das sollte man bei "The Gentlemen" am Ende trotzdem nicht erwarten. Die acht Episoden bieten zeitweise beste, zwischendurch auch mal nur solide Unterhaltung mit einigen wirklich erinnerungswürdigen Sequenzen und einem tollen Cast, allen voran Theo James. Für einen echten Netflix-Hit müsste es trotz der Durchhänger aber noch locker reichen - und das Guy-Ritchie-Mäßigste, was Guy Ritchie seit "Snatch" gemacht hat, ist es ohnehin.

Dieser Text basiert auf der Sichtung der kompletten ersten Staffel von "The Gentlemen".

Meine Wertung: 3.5/5

Die Auftaktstaffel von "The Gentleman" wurde am 7. März bei Netflix veröffentlicht.


 

Über den Autor

Gian-Philip Andreas hat Kommunikationswissenschaft studiert und viel Zeit auf diversen Theaterbühnen verbracht. Seit 1997 schreibt er für Print und online vor allem über Film, Theater und Musik. Daneben arbeitet er als Sprecher (fürs Fernsehen) und freier Lektor (für Verlage). Für TV Wunschliste rezensiert er seit 2012 Serien. Die seiner Meinung nach beste jemals gedrehte Episode ist Twin Peaks S02E07 ("Lonely Souls") ­- gefolgt von The Sopranos S03E11 ("Pine Barrens"), The Simpsons S08E23 ("Homer's Enemy"), Mad Men S04E07 ("The Suitcase"), My So-Called Life S01E11 ("Life of Brian") und selbstredend Lindenstraße 507 ("Laufpass").

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