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Ryan Murphys neue Serie ist mehr "American Horror Story" denn "Kuckucksnest"-Prequel
Sarah Paulson in "Ratched"
Netflix
TV-Kritik/Review: "Ratched": Mit dem Eispickel durch den Frontallappen/Netflix

Die Eröffnungssequenz von  "Ratched" macht schnell ziemlich deutlich, womit wir es zu tun bekommen: 1947 dringt ein junger Mann in ein von Priestern bewohntes Haus in Kalifornien ein. Nacheinander ermordet er vier von ihnen - inklusive des Monsignor Sullivan, der, wie der junge Mann behauptet, sein Vater sei, der ihn und seine Mutter als Kind verließ. Der junge Mann namens Edmund Tolleson wird von Finn Wittrock gespielt, den die allermeisten aus  "American Horror Story" kennen dürften, und auch sonst erinnert hier vieles, wenn nicht alles an die beliebte Anthologieserie von  "Glee"-Erfinder Ryan Murphy: die Brutalität der Morde, die superstylishe Period-Piece-Ausstattung, die plakativ-pastelligen Farben. Und da es im Jahr 2020 coronabedingt keine AHS-Staffel geben wird, können sich Fans zumindest auf diesen Quasi-Ersatz freuen - denn "Ratched", ebenfalls von Murphy produziert, geht eher als neuer Eintrag ins "American Horror Story"-Buch durch denn als ernsthaftes Prequel von  "Einer flog über das Kuckucksnest", auch wenn die Serie als ein solches annonciert wurde und der damalige Produzent Michael Douglas auch diesmal wieder mitproduzierte.

Die Probleme fangen schon beim Titel an: Mildred Ratched (im Englischen klingt "ratched" phonetisch ähnlich zu "rat shit" = Rattenscheiße) ist die sadistisch strenge Oberschwester einer psychiatrischen Klinik in Nordkalifornien, sowohl in Ken Keseys (noch heute lesenswerter) Buchvorlage "Einer flog über das Kuckucksnest" von 1962, als auch in deren berühmter Verfilmung von 1975. Auf welcher Version der Figur aber beruht diese Serie, die Ratcheds Vorgeschichte erzählt? Auf der Buch-Mildred oder auf der oscargekrönten Interpretation durch Louise Fletcher im Film? Man weiß es nicht so genau. Ryan Murphys Muse (und AHS-Stammgast) Sarah Paulson ist heute jedenfalls fünf Jahre älter, als es Fletcher damals war, dennoch spielt die Serie (Ende der Vierziger) gut fünfzehn Jahre vor den Ereignissen von Buch und Film (Anfang der Sechziger). Normalerweise wäre das nur für Erbsenzähler ein Problem, doch "Ratched" verortet sich durch eingeblendete Jahreszahlen und akribisches Setdesign so deutlich in Zeit und Raum, dass diese Dinge unstimmig wirken. Dem entgegenhalten muss man, dass Murphy (der die ersten beiden Episoden höchstselbst inszenierte) etwas ganz Eigenes daraus macht - das typische Murphy-Ding eben, wie es nicht nur in den AHS-Staffeln zu erleben war, sondern zuletzt etwa auch in der Traumfabrik-Alternativgeschichtsschreibung  "Hollywood": Alles ist immer etwas schriller, überkandidelter, übertriebener, als es sein müsste; die Grenze zur Groteske wird regelmäßig mit Anlauf überschritten, auf jeden ergreifenden Moment kommt mindestens ein irritierender. Und in diesem konkreten Fall darf man schon fragen, warum das Ganze ausgerechnet an die bekannte Figur aus dem "Kuckucksnest" andockt - und ob die Kolportagegeschichte, die Murphy und sein Co-Autor Evan Romansky da ausgeheckt haben, nicht auch ohne den Kontext der berühmten Vorlage funktioniert hätte. (Dass eine weitere Ratched-Variante auch wiederholt in der Fantasyserie  "Once Upon a Time" auftauchte, sei nur am Rande erwähnt.)

In der Pilotfolge heuert Mildred Ratched im Lucia State Hospital als neue Schwester an. Eine Stellenausschreibung hat es zwar nicht gegeben, aber durch Tricks und Intrigen ergaunert sie sich den Job eigenhändig, sehr zum Ärger der Kollegin Nurse Betsy Bucket (Judy Davis, die Königin des 90er-Jahre-Indiefilms von  "Barton Fink" bis  "Naked Lunch", setzt neben Paulson die schauspielerischen Highlights). Um ans Ziel zu gelangen, überdosiert sie etwa die Medizin eines ältlichen Patienten, um ihn nach dessen Zusammenbruch heldinnenhaft zu retten, später treibt sie einen anderen Patienten in den Suizid, um den Oberarzt und Leiter der Klinik, Dr. Hanover (Jon Jon Briones), erpressbar zu machen.

Die Inszenierung von "Ratched" setzt auf große Optik: Jon Jon Briones als Dr. Richard Hanover
Die Inszenierung von "Ratched" setzt auf große Optik: Jon Jon Briones als Dr. Richard Hanover Saeed Adyani/Netflix

Der nämlich will die Psychiatrie mit dem Motto korrigieren statt bestrafen revolutionieren und seinem Institut neue Fördergelder zuschanzen, da wäre es schlecht, wenn der zuständige Gouverneur (Vincent D'Onofrio,  "The Cell") von dubiosen Todesfällen erführe. Allerdings würde man Dr. Hanovers Lobotomie-Methode (mit Eispickel ins Auge!) auch als rabiate Form der Folter betrachten: Der langhaarige Junge etwa, der nach dieser "Therapie" nur noch schweigt und starrt, wirkt wie ein Vorbote des stummen "Chief" aus dem "Kuckucksnest".

Natürlich hat Ratched einen Grund, warum sie sich im Lucia State Hospital einstellen lässt. Edmund Tolleson, der von der Sensationspresse "Clergy Killer" getaufte Mörder aus der Eröffnungssequenz, ist ihr Bruder und soll für vier Monate in Hanovers Klinik eingeliefert werden. Und nur, wenn der Doktor nachweisen kann, dass Edmund "heilbar" ist, könnte diesem die Todesstrafe erspart bleiben. Welchen Plan Ratched verfolgt, ist allerdings noch nicht klar; erst einmal gerät sie an Gwendolyn Briggs (Cynthia Nixon,  "Sex and the City"), die PR-Frau des Gouverneurs. Briggs nimmt sie mit zum Austernessen nach Monterey und dann in eine Lesbenbar, was Ratched zunächst empört - doch das letzte Wort scheint noch nicht gesprochen worden zu sein, wenn man in Betracht zieht, wie hochsymbolisch Ratched danach an einem von Briggs' Pfirsichen knabbert. Während die prominent im Haupt-Cast geführte Sharon Stone ( "Basic Instinct",  "Casino" - noch so ein 90er-Jahre-Star) in den ersten Folgen noch gar nicht aufgetreten und Charlie Carver ( "Teen Wolf") als gesichtsverbrannter Pfleger nur kurz zu sehen ist, kriegen andere Darsteller durchaus Renommierszenen: Corey Stoll ( "Ant-Man",  "The Strain") verkörpert Charles Wainwright, einen dubiosen Typen, der im selben Motel wie Ratched residiert, es eindeutig auf sie abgesehen hat, aber erst einmal abgeschreckt ist, als diese ihn in merkwürdige Rollenspiele verwickeln will; Alice Englert ( "Beautiful Creatures") spielt die junge Azubi-Schwester Dolly und Hunter Parrish ( "Weeds") Father Andrews, den einzigen Pfarrer, der Tollesons Massaker schwer traumatisiert überlebt hat - und nun, zu seinem Unglück, an Ratched gerät.

Mildred Ratched (Sarah Paulson) und ihr Bruder Edmund (Finn Wittrock) in "Ratched"
Mildred Ratched (Sarah Paulson) und ihr Bruder Edmund (Finn Wittrock) in "Ratched" Saeed Adyani/Netflix

Murphy inszeniert das weder als realistischen Thriller noch als grelle Satire, sondern als einigermaßen sonderbare Mischform. Langweilig ist das keine Spur, mitunter wird es sogar spektakulär, doch ein rundes Ganzes wird nie daraus. So bedient sich Murphy etwa auf sehr kunstfertige Weise der Film-Noir-Ästhetik der Vierziger und Fünfziger, zaubert diese Zeit vom geschliffenen Whiskey-Tumbler bis in die letzten Details von Mode und Frisuren authentisch nach und gewährt durchaus beklemmende, an Michel Foucault geschulte Einblicke ins psychiatrische Unterdrückungssystem mit ihrer Beruhigungsspritzenbrutalität - wenn etwa ein paar hoffnungsfrohe Patienten (darunter Joseph Marcell aus  "Der Prinz von Bel-Air") per Lobotomie zugerichtet werden, nur weil sie manisch-depressiv, homosexuell oder schlicht "ungewöhnlich" sind. Dazu lässt Murphy Hitchcock-Referenzen im Dutzend einfließen (vor allem  "Vertigo" lässt grüßen), wirkt dabei aber auch immer wie ein Epigone aus zweiter Hand, der Hitchcock-Kopisten kopiert und dabei wild mit den Stilmitteln jongliert - ständig werden Szenen überblendet und wahllos Split Screens bemüht. Als wäre es nicht schon zweifelhaft genug, ob es fruchtbringend ist, die (Spiel-)Zeit einer Story mit den Mitteln des in jener Zeit üblichen Kinos heraufzubeschwören, ließ Murphy seinen Komponisten Mac Quayle auch noch einen Score komponieren, der wie eine bislang unentdeckte Partitur von Hitchcocks Stammkomponist Bernard Herrmann klingt. Immer, wenn's dramatisch wird, schwillen zudem Soundtrack-Klassiker wie das  "Cape Fear"-Thema oder Camille Saint-Saens' "Danse Macabre" an; dazu dreht Murphy die Farbregler hoch, lässt ganze Szenen in Blutrot oder Giftgrün versinken. Mitunter möchte man den Machern also etwas Luft zufächeln und rufen: Macht mal etwas weniger, es nervt!

Corey Stoll als Charles Wainwright auf Freiersfüßen in "Ratched".
Corey Stoll als Charles Wainwright auf Freiersfüßen in "Ratched". Saeed Adyani/Netflix

Und dann ist da, inmitten dieses Zuviels an Style und Chic, noch Sarah Paulson, fraglos eine der besten Schauspielerinnen ihrer Generation, die als Ratched absolut faszinierend ist - aber eben nicht weiß, was für eine Figur sie da nun eigentlich genau spielen soll: eine kolportagehafte Horrorhexe, die mit dem Eispickel zu Werke geht oder eine realistisch lesbare, tragische Person? Die Psychologie, auf die Murphy und Romansky im Fall der Geschwister Mildred/Edmund hinauswollen, kommt zumindest auf den ersten Metern äußerst dürftig daher. Es zeigt sich das "Joker"- Problem: die krampfhafte Psychologisierung ikonischer Figuren. So wie der jüngste  "Joker"-Film einen klinischen Nachweis für das Verhalten des clownesken Schurken zu liefern versuchte und die kaum greifbare Comicfigur dadurch zum armen Würstchen aus dem realen Alltag verzwergte, versucht "Ratched" nachvollziehbare Gründe dafür zu finden, wie und warum Mildred zu jener hartherzigen, sadistischen Figur wurde, die aus Roman und Film bekannt ist. Auf diese Weise wird ihr das Geheimnis geraubt, wird sie zur stinknormal "gestörten" Psychoschwester zurechtgestutzt. Mal abgesehen davon, dass jeder ernstzunehmende Versuch einer psychologischen Ausdeutung bereits an der schrillen, an Sex und Crime orientierten Inszenierung scheitern muss: Die undurchschaubare Ratched war früher einfach gruseliger.

Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten beiden Episoden von "Ratched".

Meine Wertung: 2.5/5

Die erste Staffel von "Ratched" ist weltweit bei Netflix abrufbar und umfasst acht Episoden. Eine zweite Staffel war seinerzeit direkt mit der Serienbestellung beauftragt worden.


 

Über den Autor

Gian-Philip Andreas hat Kommunikationswissenschaft studiert und viel Zeit auf diversen Theaterbühnen verbracht. Seit 1997 schreibt er für Print und online vor allem über Film, Theater und Musik. Daneben arbeitet er als Sprecher (fürs Fernsehen) und freier Lektor (für Verlage). Für TV Wunschliste rezensiert er seit 2012 Serien. Die seiner Meinung nach beste jemals gedrehte Episode ist Twin Peaks S02E07 ("Lonely Souls") ­- gefolgt von The Sopranos S03E11 ("Pine Barrens"), The Simpsons S08E23 ("Homer's Enemy"), Mad Men S04E07 ("The Suitcase"), My So-Called Life S01E11 ("Life of Brian") und selbstredend Lindenstraße 507 ("Laufpass").

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Leserkommentare

  • Plumpaquatsch schrieb via tvforen.de am 23.09.2020, 17.41 Uhr:
    "Mit dem Eispickel durch den Frontallappen" nennt sich Lobotomie - war in den 50ern eine gängige Prozedur zum Behandeln von schweren Geistesstörungen.
    Gut, ist sicher nicht jedermanns Sache, mit einem Metallpiekser durch die Augenhöhle ins Gehirn vorzudringen und dort etwas herumzustochern - aber ist immer noch die einfachste Methode, ins Gehirn zu kommen, ohne den Schädel aufzusägen.
    Fragt mal Teddy Daniels (oder sollte ich besser Andrew Laeddis sagen) zu dem Thema... :-)
  • User_389305 schrieb am 23.09.2020, 16.38 Uhr:
    Ich habe die Staffel komplett gesehen und finde sie überaus verstörend. Eigentlich frage ich mich, warum ich sie Ende geschaut habe. Ist so gar nicht meins. Der ständige Wechsel zwischen widerlichen Brutalszenen und absoluten Kitschbildern macht einen völlig kirre.