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TV-Kritik/Review: "Carnival Row": Der Inspektor und die Fee in Amazons flattriger Fantasy-Serie
(30.08.2019)
In einer Zeit, in der kaum noch ein großbudgetierter Film und auch kaum noch eine aufwendig produzierte Serie ohne bekannte Vorlage auskommt - als Roman- oder Comicverfilmung oder als Remake bereits existierender Filme und Serien -, verdient eine Produktion, die das Wagnis auf sich nimmt, aus sich selbst heraus eine völlig neue Fantasywelt aufzubauen, allein schon für diese Chuzpe einiges an Respekt.
Das Ergebnis überzeugt visuell, wartet mit guten Darstellern auf und setzt ganz auf den unwahrscheinlichen Genremix aus Noir-Krimi, Steampunk-Fantasy, Politdrama und (quasi-)viktorianischem Sittenbild, das Beachams Drehbuch einst zu so einer heißen Nummer gemacht hatte. Der politische Subtext - es geht um Kriegsflüchtlinge und eine Gesellschaft, die diese nicht willkommen heißt - ist seit 2005 sicher noch deutlich brisanter geworden, sowohl in Europa, dessen Staaten in höchst unterschiedlichem Ausmaß bereit sind, Geflüchtete zu integrieren, als auch in den USA, wo unter Präsident Trump eine Mauer an der Grenze zu Mexiko gebaut wird und illegal Einreisende in Käfige gesperrt werden. Doch so interessant das klingt und bei allem genannten Respekt für das Wagnis einer originalen Erzählung: Über die bloße Setzung der Flüchtlingsthematik als Analogie zur realen Welt kommt "Carnival Row" zumindest in den ersten Episoden kaum hinaus. Und auch der Rest entpuppt sich schnell als bloße Neukombination bekannter Genre-Elemente.
Die Mythologie, die dem world-building von "Carnival Row" zugrunde liegt, ist zu komplex, um sie hier vollumfänglich referieren zu können; zudem wird sie nur sukzessive offengelegt, meist nur in Andeutungen der Protagonisten, die zunächst gezielt im Unklaren bleiben. Was man aber wissen muss: Dem Beginn der Erzählung ging, sieben Jahre zuvor, ein großer Krieg voran, in der der einst idyllische, von lauter unterschiedlichen Fabelwesen (genannt: Faes, also Feen, Faune oder Kentauren) bewohnte Kontinent Tirnanoc von konkurrierenden menschlichen Armeen in kolonisierender Absicht erobert und verheert worden ist. Als sich die Truppen der "Republic of the Burgue" zurückzogen, wurde etwa das Feenland Anoun von der grausamen "Pact"-Armee überrannt. Die Konsequenz war eine Flüchtlingswelle in die Burgue-Republik, deren Hauptstadt Burgue wie London zur früh-viktorianischen Zeit der Industrialisierung aussieht, nicht nur wegen des von vielen Brücken überbauten, Themse-artigen Stroms, der die Stadt durchzieht, auch wegen der Kuppel der Balefire Hall - des Parlaments -, die so schön im Abendlicht glänzt wie St. Paul's Cathedral.Klar, wie die Kamera über die digital entworfene Modellstadt schwenkt, das erinnert nicht von ungefähr an den berühmten Vorspann von
Als Protagonistin gelangt eingangs die Fee Vignette Stonemoss nach Burgue, mit viel Wut und Trauer in den verhärteten Zügen gespielt von Cara Delevingne (
Jenseits dieses zentralen Handlungsstrangs, in der die Klassen- und Rassenunterschiede von den Zuschauern den Entsprechungen in der realen Welt zugeordnet werden können, ohne dass es (Stand jetzt) zu einer tieferen Auseinandersetzung damit käme, gibt es noch einen zweiten Hauptplot mit zunächst recht wenigen Berührungspunkten. Inspektor Rycroft Philostrate, von allen nur "Philo" genannt, ist darin einer offenbar rassistisch motivierten Mordserie an Faes auf der Spur, der gesuchte Ripper wird "Unseelie Jack" genannt. In der Rolle des Philo spricht Orlando Bloom, dessen Kinokarriere nach den Erfolgsreihen
Als wäre all dies nicht schon genug, gibt's als Beilage noch die Geschichte der Politikerfamilie Breakspear. Vater Absalom (Jared Harris, von
Man sieht schon: Es ist Stoff genug da für eine spannende Fantasyerzählung, fast zu viel, als dass sich die reichlich disparaten Story-Elemente innerhalb der acht Episoden elegant zusammenfügen, geschweige denn zu einem überzeugenden Ende bringen ließen (allerdings hat Amazon bereits die zweite Staffel in Auftrag gegeben). Optisch gibt das ordentlich was her, und der fantasyerfahrene Regisseur und Effektespezialist Thor Freudenthal (
Bei aller Detailverliebtheit wirkt die Sache trotzdem nicht rund. Der Aufmarsch fabelhafter Wesen von den winzigen Kobolden über Kentauren und Greife, gruselige (Wer-)Wolfskrieger, elegant behörnte Faune und flatterige Feen (deren Flügelschläge wie eine Libelle auf Helikopter-Acid klingen) bis hin zum gemütlich grunzenden Bären, den Absalom als Haustier hält, sollte eigentlich für deutlich mehr Vergnügen sorgen, als die ersten Folgen tatsächlich bereiten. Auch die himmelschreiend beknackten Figurennamen, die alle so klingen, als habe jemand die Namen aus Harry-Potter-Büchern im Zufallsgenerator neu zusammengewürfelt, deuten auf ein willkommenes Maß an Augenzwinkern hin. Doch das Gegenteil ist leider der Fall, "Carnival Row" nimmt sich selbst sehr, sehr ernst - was im Fantasygenre bekanntlich immer eine Gefahr darstellt. Denn wo, wie hier, gewichtige zeitgenössische Themen auf knuffig albernes Koboldgedöns und horrorhafte Schattenmonster treffen, ist die Abrutschmöglichkeit ins Lächerliche, ins Trashige gar, immer gegeben. Es braucht dann von Autoren- wie Regieseite ein feines Gespür im Zusammenführen all dieser Elemente, und in den ersten Folgen von "Carnival Row" ist das nicht durchgängig zu beobachten.
Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten beiden Episoden von "Carnival Row".
Gian-Philip Andreas
© Alle Bilder: Prime Video
Prime Video hat am 30. August 2019 weltweit die erste Staffel von "Carnival Row" in englischer Sprachfassung veröffentlicht. Die deutsche Synchronfassung wird am 22. November nachgeliefert.
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