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TV-Kritik/Review: "Mrs. Davis": Wilde neue Serie von "Lost"-Autor Damon Lindelof liefert Überraschungen im Minutentakt
von Gian-Philip Andreas(28.05.2023)

Ein Jesus aus der Falafelbude, Killer-Nonnen im Mittelalter, Schrödingers Katze: Wenn jemand solch disparate Elemente in einer einzigen Serienstaffel unterbringen kann, dann ist es wohl Damon Lindelof. Der Mann, der einst als Miterfinder von
Jetzt hat er sich mit Sitcom-Autorin Tara Hernandez (
Worum es in "Mrs. Davis" geht, ist deshalb nicht leicht zusammenzufassen - einerseits, weil die Autoren bewusst ein ziemliches Chaos in ihren Handlungssträngen anrichten, andererseits, weil man im Vorhinein nicht allzu viel von dem erwähnen sollte, was das Publikum im Laufe der Staffel da so ungestüm überrollen wird. Im Mittelpunkt all dessen steht die coole Nonne Simone (Betty Gilpin). Sie lebt in einem Konvent am wüstenstaubigen Rand von Reno, Nevada, wo sie tagsüber Erdbeermarmelade produziert und nachts im Kampf gegen ihren Feind unterwegs ist: Mrs. Davis. Hinter dieser titelgebenden Wesenheit verbirgt sich eine weltweit genutzte App, eine Künstliche Intelligenz als perfektionierte Fortschreibung von Siri, Alexa & Co., von den Menschen als allein maßgeblicher Lebens-Guide im Ohr herumgetragen als Bluetooth-Earpiece. Folge für Folge erweitert sich das Worldbuilding in dieser nicht allzu fernen Zukunft: Krieg und Hunger und soziale Nöte wurden durch Mrs. Davis angeblich abgeschafft, eine soziale Spaltung gibt es nicht mehr. Alle sind zufrieden. Bis auf Simone.

Simone pfeift auf die App und zieht gegen sie zu Felde. Das hängt mit ihren Eltern zusammen. Vater Monty (jovial: David Arquette aus den
Damit dockt die Erzählung an einen der seit dem Mittelalter beliebtesten Plots überhaupt an: die Grals-Legende, die sich vom Artus-Sagenkreis über Richard Wagners Opern bis hin zu
Der Irrwitz ist hier Programm. So geht es mal ins tiefste Mittelalter hinein, wo sich Tempelritter und Martial-Arts-Nonnen blutig um die heilige Schale streiten, mal nach Schottland zu einem skurrilen Wettbewerb, bei dem es darum geht, wer seine Hand am längsten an einen gigantischen Excalibur-Schwert halten kann, ohne aufzugeben. Es geht in dunkle Kerker und in den Vatikan, wo ein päpstlicher Doppelgänger sein Unwesen treibt. Auf See kommt es zu einer abstrusen Verquickung von "Moby Dick" und "Pinocchio", und auf einer einsamen Insel wartet ein gewisser Herr Schrödinger (Ben Chaplin,

Ein dubioser Priester (Tom Wlaschiha aus
Schon anhand dieser (kleinen) Auswahl dessen, was man in der Serie erwarten kann, dürfte klargeworden sein: Nichts ist unmöglich in "Mrs. Davis". Dass die Gag-Parade immer wieder für What-the-fuck-Momente unterbrochen wird, findet in den Dialogen übrigens ebenso Erwähnung, wie auch wiederholt selbstironische "Lost"-Zitate eingeflochten werden - vom Gestrandeten auf einer einsamen Insel über die berühmt-berüchtigten Luken bis hin zur Warnung, dass man so manches Mysterium am besten gar nicht erst lüften sollte. Eine Anspielung auf die vielen Rätsel, in denen sich die legendäre Abenteuerserie damals verzettelte.
Dass all diese Gags, Meta-Gags und Meta-Meta-Gags mit den Action-, Suspense- und Drama-Elementen der Serie tatsächlich zusammengehen und die Serie angesichts ihrer vielen Einzelteile nicht auseinanderfliegt, liegt nicht zuletzt an Betty Gilpin. Der
Ihr zur Seite, in einer Art spirituellem Liebesdreieck, stehen zwei Männer. Der erste ist Wiley (Jake McDorman,

Tatsächlich verbirgt sich inmitten des farcenhaften Geschehens eine durchaus spannende Abhandlung über den Gegensatz von Spiritualität und Technologie: Was unterscheidet diejenigen voneinander, die sich ihr Leben maßgeblich von den Algorithmen der App anleiten lassen, von jenen, die eine übersinnliche Instanz wie Gott (oder mehrere Götter) als Richtschnur akzeptieren? Welchen Standpunkt hat da noch, in beiden Fällen, der freie Wille? Bis wohin hilft und tröstet der spirituelle Glaube (oder der Glaube an die Technologie), ab wann führt er in die Unmündigkeit? Wie wenig den berechneten Wirklichkeiten im Zeitalter von ChatGPT und Co. noch zu trauen ist, spielt "Mrs. Davis" immer wieder formal durch, wenn sich ganze Sequenzen in späteren Folgen plötzlich völlig anders und neu kontextualisiert präsentieren: Auf das "Who watches the watchmen?" aus Lindelofs letzter Miniserie folgt hier eine Art "Who checks the facts of the fact checkers?" oder: Was und wer speist den Algorithmus, der die Menschen angeblich glücklich macht? Wäre es gut oder im Gegenteil weltzerstörerisch, diese App wieder abzuschalten?
Ganz so tief wie "The Leftovers" oder "Watchmen" gräbt "Mrs. Davis" allerdings nicht. Als Meisterwerk auf deren Niveau muss man diese acht Folgen am Ende nicht bezeichnen, dazu verlieren sie sich bisweilen ein bisschen zu sehr (wenn auch äußerst unterhaltsam) in den eigenen Verspieltheiten. Andererseits ist dieses satirische, allzeit pathosfreie Nicht-Ernst-Nehmen von allem und jedem gerade das Erfrischende. So kriegt selbst Mrs. Davis höchstselbst am Ende ihr Fett weg - wenn Simone auf die ursprüngliche Programmiererin trifft (Ashley Romans), die eine finale Enthüllung in petto hat, nach der man nicht weiß, ob man vor Lachen schreien oder in Panik verfallen sollte.
Das allerdings fasst die Pole ziemlich gut zusammen, zwischen denen sich hier alles fröhlich hin- und herbewegt: "Mrs. Davis" ist ein Unikum von einer Serie, die gewiss nicht den Geschmack aller treffen wird, aber denen, die das Besondere suchen, den Blick definitiv wert sein sollte. So mancher "Content", der heutzutage die Streamingdienste verstopft, scheint selbst von Algorithmen geschaffen worden zu sein; "Mrs. Davis" aber ist das genaue Gegenteil davon.
Dieser Text basiert auf der Sichtung aller acht Episoden von "Mrs. Davis".
Die Serie "Mrs. Davis" wurde in den USA ab April veröffentlicht. Es ist unklar, ob auf die erste Staffel eine weitere folgen wird. Die Serie von Peacock und Warner Bros. Television hat bisher noch keine bekannt gewordene Heimat in Deutschland oder einen Starttermin.
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