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TV-Kritik/Review: "Seven Seconds": Netflix sticht mit starkem Justizdrama in gesellschaftliche Wunden
(07.03.2018)
Manchmal können sieben Sekunden über ein Leben entscheiden. Und darüber hinaus auch noch eine ganze Reihe weiterer Leben völlig aus der Bahn bringen. Sieben Sekunden Unachtsamkeit verursachen zu Beginn der Netflix-Dramaserie
Es ist wohl nicht zu viel gespoilert, wenn man an dieser Stelle verraten muss, dass Brenton Butler nicht lange überleben wird. Ein weißer Polizist, der einen schwarzen Jungen anfährt, Fahrerflucht begeht und das Opfer einfach in der Kälte seinen Verletzungen überlässt: Das sorgt natürlich für Aufruhr in einem Land, in dem Polizeigewalt an Schwarzen an der Tagesordnung ist. Veena Sud hat mit "Seven Seconds" sozusagen die Serie zur Black Lives Matter-Bewegung kreiert. Diesen politischen Impetus spürt man durchgehend, was der dramatischen Wirkung der Geschichte aber nicht im Wege steht. Das verhindert schon der Ansatz, den Fokus klar auf die Figuren zu legen, die als Individuen funktionieren, nicht als Schablonen, die bestimmte soziale Rollen verkörpern sollen. Da ist zum einen die Familie des Opfers, eine afro-amerikanische (untere) Mittelschichtsfamilie, die sich gerade den Traum von bescheidenem Wohlstand in Form eines neuen Hauses erfüllt hat. Mutter Latrice (Regina King), eine Lehrerin, und Vater Isaiah (Russell Hornsby), der als Reinigungskraft in einem Schlachthaus arbeitet, müssen allerdings hart schuften, um über die Runden zu kommen und werden durch den Unfall auch finanziell aus der Bahn geworfen. Isaiahs Bruder Seth (Zackary Momoh) ist gerade als Soldat aus dem Nahen Osten zurückgekehrt und versucht vergeblich, sich wieder in seinem Heimatland einzugliedern. Schnell muss er lernen, dass die USA ihre Soldaten im Ausland zwar als Helden betrachten, die Veteranen zu Hause aber nur als Last. Es ist das bittere Bild einer gespaltenen Gesellschaft, das die Serie nicht nur hier zeichnet.
Auf der anderen Seite steht die überwiegend weiße Polizeieinheit um DiAngelo, die ihre Dienstmarken nutzen kann, um zu tun, was sie will. Statt für Gerechtigkeit zu sorgen, leiten die Beamten Drogengelder in ihre eigenen Taschen um und vertuschen mit ihrem Corpsgeist auch die schlimmsten Straftaten in den eigenen Reihen. Es sind Verbrecher im Staatsdienst, scheinbar unangreifbar, da sie ja selbst das Gesetz verkörpern und außerdem eine Krähe der anderen kein Auge aushackt. Allerdings ist es den Autoren hoch anzurechnen, dass auch diese Figuren - abgesehen von DiAngelo selbst - nicht als eindimensional böse gezeichnet werden. So schwankt der Unfallverursacher Jablonski durchgehend zwischen dem Drang, sich zu stellen, und der Verantwortung für seine junge Familie - ist er doch gerade Vater geworden. Und auch Teamkollege Felix (Raúl Castillo), der einzige Latino in der Einheit, ist kurz davor auszupacken, erweist sich dann aber als noch härter als seine Kollegen.
Quasi zwischen den Fronten stehen die junge schwarze Staatsanwältin K.J. Harper (Clare-Hope Ashitey) und der weiße Detective Joe "Fish" Rinaldi (Michael Mosley), die in dem Fall ermitteln: ein ungleiches Paar, bestehend aus zwei Außenseitern, die sich erst zusammenraufen müssen. Harper hat einen schlechten Ruf, weil sie zur Promiskuität neigt, und greift zu oft zur Flasche, seit sie einmal einen verhängnisvollen Fehler gemacht hat. Fish kämpft mit seiner Exfrau um das Sorgerecht für seine Tochter und teilt sein Haus ersatzweise mit einer ganzen Horde aus dem Tierheim geretteter Hunde. Es gehört zum Genre des Justizthrillers, dass diese beiden Sonderlinge, denen am Anfang niemand mehr etwas zutraut, im Laufe der Geschichte über sich hinaus wachsen werden. Dabei lassen sich die Drehbücher viel Zeit, die individuellen Hintergründe jeder Figur zu beleuchten, so dass man ihre Motive und Charaktere viel besser zu verstehen lernt.
Dramaturgisch arbeitet "Seven Seconds" nach demNeben den dichten Drehbüchern, die von Regieveteranen wie Jonathan Demme (
Das Einzige, was man an "Seven Seconds" leicht kritisieren kann, sind einige Stereotypen, die die Autoren nicht vermieden haben. So wirkt die starke Religiösität des afro-amerikanischen Familienvaters aus deutscher Sicht übertrieben. Allerdings schafft auch er es, am Ende seine starren Moralvorstellungen in einem entscheidenden Punkt zu überwinden. Insgesamt ist Netflix eine ebenso packende wie berührende Serie gelungen. Es ist dem Streamingdienst zudem gar nicht hoch genug anzurechnen, sich zum wiederholten Mal dem Thema Rassismus zu widmen. Früher hätte man solche Serien bei HBO erwartet, inzwischen hat Netflix die Rolle übernommen, mit Eigenproduktionen wie neulich
Dieser Text basiert auf Sichtung der ersten Staffel von "Seven Seconds".
Marcus Kirzynowski Die zehnteilige erste Staffel liegt komplett bei Netflix auf Abruf bereit.
© Alle Bilder: Netflix/JoJo Whilden
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