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TV-Kritik/Review: "The Little Drummer Girl": Regiegenie Chan-wook Park liefert aufregendes Schauspiel der Spione

Stylish ausgestattete, aufregend gespielte John-le-Carré-Verfilmung
"The Little Drummer Girl"
BBC
TV-Kritik/Review: "The Little Drummer Girl": Regiegenie Chan-wook Park liefert aufregendes Schauspiel der Spione/BBC

In der zweiten Episode fällt der Satz, der das übergreifende Thema dieser Miniserie fast schon überdeutlich auf den Punkt bringt: "Verwechsle niemals Schauspiel und Wirklichkeit - das ist gefährlich!" Okay, dass Spionagegeschichten immer auch vom Schauspielen, vom Sichverstellen, vom So-tun-als-ob, also: vom möglichst kunstvollen Lügen handeln, das ist keine neue Erkenntnis. Doch  "The Little Drummer Girl", der zweite John le Carré-Sechsteiler von AMC und BBC nach  "The Night Manager" (2016), hebt das Spiel mit den falschen Wahrheiten auf eine noch mal neue Stufe. Autor Michael Lesslie ( "Assassin's Creed") und der koreanische Meisterregisseur Chan-wook Park ( "Oldboy",  "Die Taschendiebin") deklinieren es fast schon exzessiv konsequent durch. Nichts ist, wie es zu sein scheint, niemand ist der, der er zu sein vorgibt: Das sind Agentenfilmstandards, die diese Miniserie zum zentralen Stilprinzip erhebt und auf der Figuren- wie Handlungsebene immer neu durchspielt.

Erzählt wird, auf der Grundlage des 1983 erschienenen Le-Carré-Erfolgsromans "Die Libelle", von einer israelischen Agenteneinheit um den sehr eigenwilligen Meisterspion Martin Kurtz (Michael Shannon), der im Jahr 1979 dem Palästinenser Khalil Al-Khadar (Charif Ghattas), seiner Schwester Fatmeh (Lubna Azabal aus  "Die Frau die singt - Incendies") und ihrer Terrorzelle auf der Spur ist: Diese verübt in Europa seit einiger Zeit Bombenattentate auf israelische Juden und greift dafür, vermittels der Romeo-Qualitäten von Khalils attraktivem Bruder Salim (Amir Khoury,  "Fauda"), auf die Dienste junger westlicher Frauen zurück. Kurtz' Team rekrutiert eine linksrevoluzzermäßig friedensbewegt eingestellte britische Schauspielerin namens Charmian Rose (Florence Pugh), genannt Charlie, um sie als Lockvogel bei den Palästinensern einzuschleusen.

Das ist ein Standard-Spionageplot, der, weil er sich vor dem Hintergrund des Nahostkonflikts entfaltet, einerseits darauf aufmerksam macht, dass sich in den vier Jahrzehnten seit der Spielzeit der Erzählung zu dessen Lösung politisch bedauernswert wenig getan hat, andererseits aber durch die Involviertheit einer Schauspielerin auf die entsprechend zentrale Fährte führt: Charlies verkrachte Kneipentheatertruppe probt gerade Shakespeares Komödie "Wie es euch gefällt", deren berühmtester Vers bekanntlich lautet: "Die ganze Welt ist Bühne / und alle Frau'n und Männer bloße Spieler". Und für die Spionagewelt der vorgetäuschten Rollen und aufgesetzten Charaktermasken gilt diese Sicht der Welt als ewige Performance noch stärker.

Ausnahmespion Martin Kurtz (Michael Shannon) hat in den Überresten eines Bombenanschlags das Erkennungszeichen von Khalil Al-Khadar gefunden.
Ausnahmespion Martin Kurtz (Michael Shannon) hat in den Überresten eines Bombenanschlags das Erkennungszeichen von Khalil Al-Khadar gefunden.

So wird die ganze erste Episode als ein einziges, großes Täuschungsmanöver inszeniert, das für all jene, die den Roman oder dessen krude  erste Kino-Verfilmung von 1984 (mit Diane Keaton und Klaus Kinski) nicht kennen, ebenso wirkungsvoll verläuft wie für jene, die damit vertraut sind. Dass es dabei um Charlies Rekrutierung für Kurtz' Team geht, darf man verraten - schließlich bildet sie den Kern des Plots. Schon zu Beginn sieht man also die junge Schauspielerin in einer Casting-Situation: Sie soll sich eine Szene "zueigen machen", woraufhin wir einen ersten Eindruck ihrer Dramatisierungskünste bekommen, wenn sie nämlich einen profanen Vorfall in einer Bar (gezeigt in Rückblenden) zur heroisch-romantischen Anekdote umdichtet. Danach werden zwei Handlungsstränge parallelgeführt: Einerseits folgen wir Charlie, ihrem Freund Al (Max Irons,  "The Host - Seelen") und dem Rest ihrer Theatertruppe, die von einem mysteriösen Gönner für die Proben des Shakespeare-Stücks auf die griechische Insel Naxos geschickt werden. Dort treibt sich der reservierte Fremde Peter herum (Alexander Skarsgård), über den sich Charlie erst ärgert, ehe sie sich verknallt und von ihm zu einem vermeintlich romantischen Trip nach Athen einladen lässt. Doch dort entführt Peter sie in eine Villa am Rande der Stadt.

Im zweiten Handlungsstrang geht es um Kurtz' (an Spielbergs  "München" erinnernde) Jagd auf Khalil. Salim hat zuletzt bei einem Attentat auf die Residenz des israelischen Attachés in Bonn-Bad Godesberg auch dessen achtjährigen Sohn getötet. Kurtz und sein Team (darunter Michael Moshonov aus  "Policeman", Clare Holman aus  "Lewis - Der Oxford Krimi" und Simona Brown, die schon im  "The Night Manager" dabei war) holen nicht nur den geheimnisumwitterten Mossad-Agenten Gadi Becker aus dem Vorruhestand zurück, sie können auch Salim festsetzen, ihn in einen klandestinen Stützpunkt im Olympischen Dorf in München entführen und auf dieser Grundlage eine großangelegte Intrige gegen die Terrorzelle beginnen. Ganz zum Schluss der Pilotfolge werden beide Stränge zusammengeführt: Kurtz' Team ist es, das in der Athener Villa auf Charlie wartet, Kurtz selbst war es auch, der eingangs Charlies Casting durchführte und sich jetzt als "Autor, Regisseur und Produzent dieser kleinen Show" vorstellt. Und der geheimnisvolle Peter? Ist niemand Geringerer als Gadi Becker.

Athen, kurz bevor die Masken fallen: Charmian "Charlie" Rose (Florence Pugh) und Spion "Peter" (Alexander Skarsgård)
Athen, kurz bevor die Masken fallen: Charmian "Charlie" Rose (Florence Pugh) und Spion "Peter" (Alexander Skarsgård)

Nach dieser verblüffend eleganten Einführung in die Welt der Spionageschauspielerei bleibt die Serie auch weiterhin bei diesem Thema. Charlies Bohème-Lebenslauf als Revoluzzerkind aus harten Verhältnissen wird von Kurtz & Co. genüsslich als Selbstinszenierung einer ganz normalen Bürgerstochter entlarvt, ihre häufigen Besuche bei pro-palästinensischen "Anti-Imperialismus"-Treffen sind den Agenten längst bekannt - doch ihre dreisten Lügen machen sie zur idealen Kandidatin im geplanten Intrigenspiel gegen Khalil. Sie gewinnt damit das "Casting" als Doppelagentin. "Wir lieben Dich dafür", sagt Gadi. "Denn wir sind auch so."

Fortan wird er wie in einer Schauspielübung die Rolle proben, die sie in Kurtz' Auftrag fortan spielen soll - als vermeintliche Geliebte Salims, die sich das vertrauen seines Bruders Khalil erschleichen soll. Das ist der Kern von Roman und Serie: Das Verlieben in einen Mann, den sie gar nicht kennt (Salim), probt Charlie schauspielerisch mit einem Mann (Gadi), in den sie sich tatsächlich verliebt hat. Spätestens in diesen Szenen verwischen sich Realität, Spiel, Einbildung und Rückblende auf reizvolle Weise, und der Agentenplot weitet sich zur Reflexion über die Legitimität des taktischen Verstellens. Das birgt freilich eine dramaturgische Gefahr, denn womöglich könnte sich dieses Oberthema am Ende als spannender erweisen als der Plot selbst - der auf die genretypischen Loyalitätskonflikte zusteuern dürfte.

Keine Frage, dass es für eine filmische Erzählung über Vertrauen und Verrat, Schauspiel und Wirklichkeit in den Hauptrollen ebenfalls beeindruckender Schauspieler bedarf - und die hat Chan-Wook hier allemal zur Verfügung: Kantschädel Michael Shannon, bekannt durch viele tolle Rollen in vielen ebenso tollen Indie-Filmen ( "Take Shelter",  "The Shape of Water") gibt Kurtz mit Lockenkopf, Brille und Walross-Schnauz als ebenso sinistren wie jovialen Überzeugungstäter, mal furchteinflößend und grenzpsychopathisch, dann wieder kumpelhaft, aber durchaus auch haarscharf am Rande des Grotesken - mal abwarten, ob er dem KZ-Überlebenden in den weiteren Episoden noch subtilere Züge verleihen darf. Der schwedische  "True Blood"-Star Alexander Skarsgård führt sich als Mystery Man Becker wortkarg-minimalistisch ein, als "Eiskalter Engel"; trotzdem ist die unterschwellige romantische Chemie mit Charlie klar erkennbar. Charlie selbst bildet das Zentrum dieser Serie, Florence Pugh reißt jede ihrer Szenen mit magnetischer Präsenz an sich. Nachdem sie letztes Jahr für ihren phänomenalen Auftritt im Indie-Kostümfilm  "Lady Macbeth" gefeiert wurde, dürfte die 22-jährige Britin als "Little Drummer Girl" nun ihren internationalen Durchbruch erleben - zu Recht. Denn wie sie hier zwischen aufreizend-souverän, schnippisch, verwirrt, panisch und verliebt changiert, also nach Belieben auf alle möglichen Rollen zu- und zurückgreift, das ist absolut sehenswert und eine Ideallösung für den Part.

Zielperson: Salim (Amir Khoury)
Zielperson: Salim (Amir Khoury)

Gleiches gilt auch für die kunstvolle Regie Chan-wook Parks, der in seiner zweiten englischsprachigen Produktion (nach  "Stoker") und allerersten Fernseharbeit nicht nur immer wieder die Utensilien des Agentengewerbes (Koffer, Tonbandgeräte, Armbanduhren, Autos, Brillen) in ominöse Detailaufnahmen rückt, sondern auch die Zeit der späten Siebziger in kräftigen Farben und typischen (Innen-)Architekturen der diversen Spielorte auferstehen lässt. Die von Braun, Blau, Rot, Gelb oder Grün dominierten Hotelzimmerszenen, die lichte Urlaubsatmosphäre in Griechenland, der Bohème-Taumel in London, die im Weitwinkel eingefangenen brutalistischen Bauten zwischen München und Tel Aviv oder die Behördensäle mit ihren orangenen Schalenstühlen: "The Little Drummer Girl" hat fast noch mehr Style als "The Night Manager" - und wird dessen Fans allemal begeistern.

Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten beiden Episoden von "The Little Drummer Girl".

Meine Wertung: 4/5

Gian-Philip Andreas
© Alle Bilder: BBC

Die sechsteilige Miniserie "The Little Drummer Girl" ist eine Gemeinschaftsproduktion des US-Senders AMC und der BBC und wurde im Spätherbst 2018 erstmalig ausgestrahlt. Eine deutsche Sendeheimat ist bisher nicht bekannt geworden.


 

Über den Autor

Gian-Philip Andreas hat Kommunikationswissenschaft studiert und viel Zeit auf diversen Theaterbühnen verbracht. Seit 1997 schreibt er für Print und online vor allem über Film, Theater und Musik. Daneben arbeitet er als Sprecher (fürs Fernsehen) und freier Lektor (für Verlage). Für TV Wunschliste rezensiert er seit 2012 Serien. Die seiner Meinung nach beste jemals gedrehte Episode ist Twin Peaks S02E07 ("Lonely Souls") ­- gefolgt von The Sopranos S03E11 ("Pine Barrens"), The Simpsons S08E23 ("Homer's Enemy"), Mad Men S04E07 ("The Suitcase"), My So-Called Life S01E11 ("Life of Brian") und selbstredend Lindenstraße 507 ("Laufpass").

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