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TV-Kritik/Review: "Andere Eltern": Schonungsloser Wahnsinn zwischen Helikoptermüttern und Ego-Vätern
von Glenn Riedmeier(10.08.2021/ursprünglich erschienen am 18.03.2019)

Auf dem Büchermarkt ließ sich in den vergangenen Jahren ein Trend erkennen. Titel wie "Eltern, die auf Schaukeln starren" oder "Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter" widmeten sich einem offensichtlich akuten Problemfeld: Kinder großziehen könnte so schön sein - wären da nicht die anderen Eltern. Auch Regisseur Lutz Heineking, Jr. (

Die Serie erzählt vom täglichen Wahnsinn im Leben von überambitionierten Großstadteltern. Die Prämisse: Eine Gruppe junger Eltern mit einem gemeinsamen Ziel trifft aufeinander. Aufgrund der anhaltenden Knappheit an Betreuungsplätzen wollen sie zusammen selbst eine neue Kindertagesstätte aufbauen. Das Vorhaben soll in Form eines Dokumentarfilms begleitet werden - dies etabliert die besondere Machart der Serie. Denn es handelt sich um eine sogenannte Mockumentary - also eine fiktionale Serie, die allerdings wie eine Dokumentation gedreht wird. Alle Protagonisten wissen, dass sie gefilmt werden und geben zwischen den einzelnen Szenen Statements direkt in die Kamera ab. Deutsche Zuschauer kennen diese Form der Comedy vor allem aus

Im Fall von "Andere Eltern" will die 59-jährige Dokumentarfilmerin Ini (Johanna Gastdorf,
Da gibt es etwa den konservativen Anwalt und Besserwisser Lars (brillant gespielt von Sebastian Schwarz), der im Kirchenchor singt und nicht mit rassistischen Ressentiments geizt ("Dass Randgruppen mit uns normalen Menschen an so einem Experiment teilnehmen, finde ich durchaus interessant."). Seine stromberg-esken Kommentare ("Die Natur macht Vorschläge, sage ich immer!") zählen zu den Highlights der Serie. Er ist mit der Grundschullehrerin Anita (Nadja Becker, spielte Bea in

Auch der übergewichtete, homosexuelle Schauspieler Malte (Daniel Zillmann) hat einen ausgesprägten Kinderwunsch. Er fühlt sich in der Welt der Schwulen und Lesben zunehmend unwohl und sehnt sich nach familiärer Geborgenheit. So datet er ausgerechnet in seiner kölschen Stammkneipe Single-Frauen, um dort eine potenzielle Mutter seiner Kinder zu finden. Für seine Schwester Nike (Henny Reents) springt er hin und wieder als Babysitter ein. Die alleinerziehende Mutter hat ein eigenes Musiklabel, doch wahrt nur nach außen den Schein einer selbstbewussten Frau.
Nina arbeitete einst in einer Werbeagentur, entdeckte dann jedoch Yoga als ihre neue Mitte und will ein nachhaltiges und ökologisches Leben führen. Ihr Mann Jannos (Jasin Challah) hat in Sachen Kindererziehung nicht viel zu melden und konzentriert sich deshalb auf seine Rolle als Familienversorger. In der Ehe zwischen Yaa (Rebecca Lina) und Björn (Serkan Kaya) ist die Luft raus. Ihr Sexleben ist seit Jahren auf Standby und sie führen einen pragmatischen Alltag nebeneinander. Nach Außen geben sie das harmonische Paar, doch in Wirklichkeit nimmt Yaa es ihrem Mann übel, dass er ihren Kindern näher ist als sie. Ebenfalls Teil der Kita-Gruppe ist ein mysteriöses japanisches Pärchen, das in den ersten drei Folgen kein einziges Wort spricht...

Konfliktpotenzial ist bei diesem umfangreichen Cast gehörig vorhanden. Zudem bekommen sich die Paare auch selbst in die Wolle. Jeder Einzelne der frisch gebackenen oder werdenden Mütter und Väter ist auf seine eigene Art und Weise unerträglich. Sowohl in den Szenen innerhalb der Gruppe als auch in den Aufnahmen aus ihrem Privatleben wird immer deutlicher, dass es ihnen weniger um das Wohl ihrer Kinder als vielmehr um die Bestätigung der eigenen Egos geht. Dabei wird geschickt darauf geachtet, dass die Figuren keine reinen Stereotypen sind, sondern vielschichtige Persönlichkeitsmerkmale besitzen, die im Verlauf der Episoden ans Tageslicht kommen. Sämtliche Rollen wurden hervorragend mit überzeugenden Schauspielern besetzt, die zwar schon einige Erfahrung mitbringen, aber dennoch erfrischend unverbraucht wirken.
Der Lokalkolorit aus Köln-Nippes tut der neuen deutschen Serie gut, die dankenswerterweise zur Abwechslung mal nicht in Berlin spielt. Hervorzuheben ist auch der besondere Produktionsstil: Denn ihre Rollen bekamen die Schauspieler lediglich skizziert. Beim Dreh wurden sie mit den Situationen konfrontiert und mussten ihre Dialoge spontan vor der Kamera improvisieren. Nur in Ausnahmefällen wurden Szenen mehrfach gedreht. Dies führt dazu, dass der Dokumentar-Stil sehr authentisch wirkt. Die Schauspieler kannten den Verlauf der Story zunächst nicht und mussten immer wieder mit Überraschungen rechnen. So springt in einer Szene nach Rauchzeichen eines Schamanen plötzlich die Sprinkleranlage an, wovon der Cast sichtlich nichts wusste.

Regisseur Lutz Heineking, Jr. sagte unverblümt, dass ihn "purer, liebgemeinter Hass" bei der Produktion der Serie angetrieben habe. Und in der Tat - ein Werbefilm für das Dasein als junge Eltern ist die Mockumentary nicht. Interessanterweise sind Kinder in der Serie kaum zu sehen - sie kommen lediglich als Schnittbilder oder im Hintergrund vor. Es handelte sich dabei um eine ganz bewusste Entscheidung, da sich die Serie ganz klar auf die Eltern konzentrieren sollte. Der Kniff verdeutlicht zudem, dass Kinder frei von den Sorgen ihrer Eltern in ihrer eigenen Welt leben.
Mit "Andere Eltern" erweitert die Turner-Sendergruppe ihr Portfolio um ein neues Schmuckstück. Die Serie besitzt ein hohes Tempo mit schnellen Wechseln zwischen Handlungsszenen und Kommentarsequenzen. Dennoch wird auf ein plumpes Pointenfeuerwerk verzichtet. Die Komik entsteht vielmehr durch die Zeichnung der Charaktere, die beim Zuschauer wechselhafte Emotionen zwischen Scham, Abneigung und Mitleid auslösen. Egal, ob man sich gerade selbst in der Lebenssituation als junge Eltern befindet oder nicht - in jedem Fall bietet "Andere Eltern" den unbedingt nötigen, schonungslosen Blick auf die Generation der Helikoptermütter und Spielplatzväter.

Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten drei Folgen von "Andere Eltern".
Die ersten beiden Staffeln von "Andere Eltern" werden ab dem 10. August 2021 dienstags um 23.15 Uhr in Doppelfolgen bei ZDFneo als Free-TV-Premiere gezeigt.
Über den Autor
Schon seit frühester Kindheit war der 1985 geborene Münchner vom Fernsehen fasziniert. Am Wochenende stand er freiwillig früh auf, um stundenlang die Cartoonblöcke der Privatsender zu gucken. "Bim Bam Bino", "Vampy" und der "Li-La-Launebär" waren ständige Begleiter zwischen den "Schlümpfen", "Familie Feuerstein" und "Bugs Bunny". Seine Leidenschaft für animierte Serien ist bis heute erhalten geblieben. Darüber hinaus begeistert er sich für Gameshows wie "Ruck Zuck" oder "Kaum zu glauben!" und ist mit hoher Expertise gleichzeitig Fan und kritischer Beobachter der deutschen Schlagerwelt. Auch für Realityformate wie "Big Brother" und "Die Verräter" hat er eine Ader - auf rein krawalliges Trash-TV kann er dagegen verzichten. Im Comedy-Bereich begeistert er sich vor allem für Sitcoms, Stand-up-Comedy und Late-Night und hält diesbezüglich auch die Augen in Österreich, Großbritannien und den USA offen.
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Leserkommentare
cassiel schrieb am 19.03.2019, 13.34 Uhr:
Was mich interessieren würde, ob und wie von dem japanischen Paar, das drei Folgen schweigt, dem westlichen Erziehungsmodewahnsinn der anderen Protagonisten etwas entgegen gesetzt wird, denn in Japan gibt es keine Erziehungsmoden und kulturell bedingt ein ganz anderes Konzept von Erziehung. Das wäre dann wirklich ein Niveau, auf das man in einigen Jahrzehnten als seiner Zeit weit voraus zurückblicken könnte.
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