Reality-TV boomt - aber fast nur noch im Streaming
"Das Sommerhaus der Stars" RTL/Stefan Gregorowius
Vor allem die Privatsender haben Jahr für Jahr mit sinkenden Reichweiten im linearen Fernsehen zu kämpfen. Längst sind die beiden großen Sendergruppen - RTL Deutschland und ProSiebenSat.1 - zu der Erkenntnis gelangt, dass sie zweigleisig fahren und parallel zu ihren linearen Sendern auch ihre Streamingangebote pflegen und attraktiver machen müssen. Dabei lässt sich ein Trend erkennen: Insbesondere Realityshows funktionieren, abgesehen von sehr wenigen Ausnahmen, linear kaum noch.
Bestes Beispiel: "Das Sommerhaus der Stars" war noch vor ein paar Jahren ein Garant für starke Quoten bei RTL. Für die diesjährige Staffel lief es linear jedoch so schlecht wie nie zuvor. Mehrfach fiel das Format unter die Marke von einer Million Zuschauer und verharrte in der jungen Zielgruppe in der Einstelligkeit - im Schnitt lag man bei mauen 7,6 Prozent Marktanteil. Zum Staffelfinale setzte es mit 6,4 Prozent bei den 14- bis 49-Jährigen gar ein Allzeittief. Das ist allerdings nur eine Seite der Medaille: Denn speziell beim "Sommerhaus" wurde von RTL offiziell verkündet, dass erstmals ein Format mehr Zuschauer auf RTL+ erreichte als am Ausstrahlungstag im linearen Fernsehen. Hinzu kommt ein starker Zuwachs an Leuten, die die Folgen zeitunabhängig nachträglich konsumierten. Zusammengerechnet kam die Staffel dadurch im Schnitt auf 2,34 Millionen Zuschauer.
"Die Bachelors" RTL/Benno Kraehahn
Wie sehr Reality-TV bzw. Trash-TV mittlerweile vorrangig ein Streaming-Phänomen ist, zeigt sich aber auch an vielen anderen Beispielen. "Der Bachelor" war einst eines der Aushängeschilder von RTL. Doch die Kuppelshow hat seit Jahren mit rückläufigen Quoten zu kämpfen. Da half auch die zwischenzeitliche Umwandlung in "Die Bachelors" nicht. Die 15. Staffel des Formats ging in diesem Jahr regelmäßig am Mittwochabend unter und erreichte nur durchschnittlich 770.000 Menschen. In der jungen Zielgruppe kamen maue 6,6 Prozent zustande. Kurzen Prozess machte RTL auch mit dem neuen Ableger "Golden Bachelor", mit dem der Sender am Sonntagvorabend gezielt die Zuschauerschaft in den besten Jahren ansprechen wollte. Doch das Spin-Off verfing ganz und gar nicht. Obwohl die Gesamtreichweite mit bis zu 1,32 Millionen Zuschauern sogar ein gutes Stück höher ausfiel, kamen in der Zielgruppe nur zwischen 5,7 und 6,3 Prozent zustande - was RTL zu einer Absetzung nach nur zwei Folgen veranlasste.
Auch das ZDF wagte sich auf das ungewohnte Reality-Terrain: Mit großer Hoffnung und noch größerem Tamtam hat der Mainzer Sender im Frühjahr "Terra X - Wettlauf um die Welt" an den Start geschickt. Das ZDF ging damit ein Wagnis ein, da es sich hierbei um ein Abenteuer-Realityformat handelt - etwas, das man bislang nicht von Öffentlich-Rechtlichen kannte, schon gar nicht zur Primetime. Das Experiment ging gehörig schief. Lediglich 1,39 Millionen Menschen schalteten die Auftaktfolge ein, der Marktanteil betrug schwache 5,8 Prozent. Bei den 14- bis 49-Jährigen wurden ebenfalls nur unterdurchschnittliche 6,0 Prozent gemessen. Die Konsequenzen ließen nicht lange auf sich warten: Nach den enttäuschenden Quoten flog das Format nach der ersten Folge aus dem ZDF-Programm und wurde an den kleineren Schwestersender ZDFneo weitergereicht."Werwölfe - Das Spiel von List und Täuschung" ARD/BR/SWR/stock.adobe.com/Homayoun Fiamor/Jackson Pearson/Aro/Victor/by-studio/Montage:Carina Urban/Fotos: Marc Rehbeck
Vorausschauender war allem Anschein nach die ARD, die von dem in erster Linie für die Mediathek produzierten Reality-Game "Werwölfe - Das Spiel von List und Täuschung" lediglich die ersten beiden Folgen linear im Ersten ausstrahlte. Diese gingen dann an einem späten Donnerstagabend im Oktober auch sang- und klanglos unter: 650.000 Menschen sahen die erste Folge, für die zweite blieben 400.000 dran. In der jungen Zielgruppe kamen nur 3,0 und 2,4 Prozent zustande. Dafür erreichte "Werwölfe" über fünf Millionen Abrufe in der ARD Mediathek, was das Format dort zu einem der meistgestreamten Unterhaltungsangebote des Jahres gemacht hat. Eine zweite Staffel ist daher beschlossene Sache.
ProSieben fiel mit seinen Versuchen, mit Reality-Formaten zu punkten, mehrfach auf die Nase. Die ohnehin schon ins Spätprogramm abgeschobene zweite Staffel von "Forsthaus Rampensau Germany" krepierte im Sommer vor durchschnittlich 240.000 Zuschauern und miesen 3,4 Prozent Marktanteil beim jungen Publikum. Auch die lineare Auswertung der Verfolgungsjagd "Most Wanted - Wer entkommt?" entpuppte sich mit 270.000 Zuschauern und 5,4 Prozent als Ladenhüter.
"The Power - Wer hat die Macht?" Joyn/Renè Lohse
Im September haben ProSieben und Joyn mit "The Power - Wer hat die Macht?" ein weiteres aufwendiges neues Reality-Projekt an den Start geschickt. Im Gegensatz zu den meisten anderen Formaten aus diesem Genre erschien auf Joyn pro Woche nicht eine längere Folge, sondern gleich zehn halbstündige Episoden. ProSieben zeigte parallel sogenannte Highlight-Cuts - die völlig untergingen: Insgesamt nur durchschnittlich 230.000 Menschen konnten sich linear dafür erwärmen, davon 100.000 14- bis 49-Jährige, die für maue 4,8 Prozent reichten. Für Joyn hat sich das Experiment jedoch allem Anschein nach ausgezahlt, denn der Streamingdienst spricht - gemessen an Video-Views - vom "erfolgreichsten Joyn Original aller Zeiten", was angesichts der hohen Folgenzahl von insgesamt 50 Episoden aber relativierend zu betrachten ist. Konkrete Abrufzahlen werden wie üblich nicht genannt, doch sie waren in jedem Fall gut genug, um eine zweite Staffel in Auftrag zu geben.
RTL Zwei schickte in diesem Jahr eine hohe Anzahl an neuen Doku-Soaps an den Start - doch keine davon funktionierte. "My Big Fat Italian Wedding" mit Cosimo Citiolo, "Alles im Loth!" mit Kader Loth, "Texas Patti - Mein Leben am Höhepunkt" und "Oksana & Family - Alles auf Anfang" gingen alle sang- und klanglos unter. Im Frühjahr brachte RTL Zwei außerdem das Format "#CoupleChallenge - Das stärkste Team gewinnt" zurück und sendete die neue Staffel mittwochs um 20.15 Uhr. Bereits die Auftaktfolgen blieben mit Reichweiten zwischen 290.000 und 330.000 Zuschauer und Zielgruppenmarktanteilen von 2,4 und 2,0 enttäuschend. Zum Staffelfinale ging es dann gar auf 180.000 Zuschauer und miserable 0,7 Prozent zurück. Ungeachtet dieses linearen Komplettflops verwies der Sender darauf, dass "#CoupleChallenge" auf RTL+ ein Streaminghit sei mit über 5 Millionen Video-Views allein für die ersten drei Folgen.
Die Teilnehmerpaare der vierten Staffel von "#CoupleChallenge" RTL Zwei
Im Oktober schickte RTL Zwei dann ein ganz neues Realityformat an den Start: "Der Promihof". Während es stets in den wöchentlichen Streaming Top 10 der privaten Programmmarken auftauchte, blieb linear auch hier der Erfolg aus. Nachdem die ersten beiden Folgen noch von knapp über einer halben Million Menschen gesehen wurden und solide 4,3 Prozent erzielt wurden, ging es in den Folgewochen rapide abwärts auf bis zu 1,6 Prozent. Doch die Streamingzahlen haben RTL Zwei dazu bewogen, sowohl "#CoupleChallenge" als auch "Der Promihof" mit neuen Staffeln fortzusetzen.
Im November versuchte es ProSieben mit "Die Abrechnung - Der Promi-Showdown" - und scheiterte erneut. Nach miesen Quoten (420.000 Zuschauer, 3,5 Prozent 14-49J.) zog der Sender vorzeitig die Reißleine und verbannte die Sendung nach zwei Folgen ins Nachtprogramm. Dies hatte auch Auswirkungen auf "Das große Promi-Büßen", das ProSieben nach dem Misserfolg der Vorjahresstaffeln ohnehin schon nach 23 Uhr zeigte, wo es mit 1,7 Prozent Marktanteil völlig unter die Räder geriet. Durch die Verlegung von "Die Abrechnung" ins Nachtprogramm landete "Das große Promi-Büßen" fortan bei einem Sendeplatz um 4 Uhr morgens. Dies verdeutlicht einmal mehr: Trash-TV-Konsumenten schauen derlei Formate vorwiegend im Streaming, in diesem Fall auf Joyn, während das übrige lineare Fernsehpublikum mit solchen Sendungen mehrheitlich vergrault wird.
Joyn/Rudi Skukalek/Tan Nian Xing
Schwestersender Sat.1 brachte bereits im Frühjahr die skandalträchtige Sendung "Promis unter Palmen" zurück, über die man noch 2021 sagte, dass sie nicht mehr zum Image des Senders passe. In den ersten beiden Staffeln erlangte "Promis unter Palmen" traurige Berühmtheit für das unkritische Zurschaustellen von Mobbing und Homphobie. Trotz diese Krawall-Images blieb der große Comeback-Boom aus und die dritte Staffel konnte bei weitem nicht mehr an die Quotendimensionen der ersten beiden Staffeln anknüpfen. Durchschnittlich waren 1,10 Millionen Zuschauer und 8,3 Prozent des jungen Publikums dabei. Nichtsdestotrotz geht es 2026 mit einer vierten Staffel weiter.
Leyla und Mike Heiter gaben sich Ende August in Italien das Jawort BILD/Marc Bremer
Doch ist Reality-TV im linearen Fernsehen nun völlig zum Scheitern verurteilt? Nein, es gibt immer noch Ausnahmen - und das sind allen voran die Veteranen. Nach wie vor stellt das RTL-Dschungelcamp im Januar für viele Zuschauer eine feste Verabredung mit einem zweiwöchigen TV-Lagerfeuer dar. Mit "Ich bin ein Star - Holt mich hier raus!" gelingt es RTL immer noch, in Quoten- und Marktanteilsdimensionen vorzudringen, die ansonsten heutzutage kaum noch erreichbar sind. 2025 verlegte der Sender sogar erstmals die Sendezeit nach vorne und hievte das Dschungelcamp zwei Wochen lang konstant auf den 20.15-Uhr-Sendeplatz. Dies hat wunderbar geklappt: Im Schnitt waren 4,19 Millionen Zuschauer bei 16,1 Prozent Marktanteil dabei. In der Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen waren sogar durchschnittlich 30,4 Prozent drin.
Zumindest mittelprächtig lief es in diesem Jahr linear für "Die Verräter - Vertraue Niemandem!" bei RTL. Die dritte Staffel konnte zum Staffelstart mit 1,76 Millionen Zuschauern und 13,6 Prozent in der jungen Zielgruppe direkt einen neuen Rekord hinlegen. Dieses Quotenniveau konnte im restlichen Verlauf der Staffel nicht gehalten werden, allerdings wurde auf RTL+ stets vorab die nächste Folge zur Verfügung gestellt. Mit über 4,2 Millionen Video-Views hat die dritte Staffel dort stark abgeschnitten.
Die Teilnehmer der 13. Staffel von "Promi Big Brother" Joyn/Marc Rehbeck
Sat.1 wiederum konnte sich auch 2025 auf "Promi Big Brother" verlassen. Erneut zogen mehr oder weniger prominente Bewohner in die bekannteste TV-WG Deutschlands ein - in der 13. Staffel aufgeteilt in einen Rohbau und eine Musterwohnung. Im Vergleich zum Vorjahr ging es quotentechnisch wieder nach oben: 1,39 Millionen Zuschauer waren während der zwei Wochen im Oktober dabei. Wichtiger ist jedoch der Marktanteil in der jungen Zielgruppe, der bei überdurchschnittlichen 14,7 Prozent lag.
Auch ein zweites Mal konnte Sat.1 in diesem Jahr mit Reality punkten: Als einer der ganz wenigen Neustarts, die linear funktioniert haben, entpuppte sich die "Villa der Versuchung". Nach einem noch verhaltenen Auftakt konnte sich das von Verona Pooth präsentierte Format von Woche zu Woche steigern. Unterm Strich waren durchschnittlich 1,19 Millionen Zuschauer dabei, davon 440.000 14- bis 49-Jährige, die für tolle 11,8 Prozent Marktanteil sorgten - ein Wert weit über dem Sat.1-Senderschnitt.