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TV-Kritik/Review: "Mrs. Davis": Wilde neue Serie von "Lost"-Autor Damon Lindelof liefert Überraschungen im Minutentakt

Ein Unikum, das gewiss nicht den Geschmack aller treffen wird
Setzt lieber auf alte Kommunikationsmittel: Betty Gilpin als Gralssucherin Simone
Peacock
TV-Kritik/Review: "Mrs. Davis": Wilde neue Serie von "Lost"-Autor Damon Lindelof liefert Überraschungen im Minutentakt/Peacock

Ein Jesus aus der Falafelbude, Killer-Nonnen im Mittelalter, Schrödingers Katze: Wenn jemand solch disparate Elemente in einer einzigen Serienstaffel unterbringen kann, dann ist es wohl Damon Lindelof. Der Mann, der einst als Miterfinder von  "Lost" zu Ruhm kam und mit  "The Leftovers" und  "Watchmen" zwei der besten Serien des letzten Jahrzehnts vorlegte, zählt zu den wenigen Autoren, die um übliche Vorhersehbarkeiten einen verlässlich großen Bogen machen: Bei ihm weiß man nie, was sich hinter der nächsten Szenenecke verbirgt.

Jetzt hat er sich mit Sitcom-Autorin Tara Hernandez ( "The Big Bang Theory") zusammengetan und eine staunenswerte Wundertüte aus Sci-Fi, Drama, Western, Comedy und Thriller zusammengestellt, die von einer Ordensschwester auf der Suche nach dem Heiligen Gral erzählt - und die man gesehen haben muss, um sie zu glauben.  "Mrs. Davis" ist beim US-Streamingdienst Peacock schon zu haben, bei uns hat die Miniserie skandalöserweise noch keinen Starttermin. Wir haben sie uns trotzdem schon angesehen.

In Lindelofs letzten Serien ging es um ernste Themen, um Trauer in "The Leftovers", um Rassismus in der Comic-Umsetzung "Watchmen". Irrwitz und Verschrobenheiten wurden darin aber stets mitserviert, vom Löwenmassaker auf der Sex-Kreuzfahrt in "The Leftovers" bis zum dauerfurzenden Jeremy Irons in "Watchmen". Durch die Kooperation mit Hernandez verschiebt sich das Gewicht in "Mrs. Davis" nun noch weiter in die komödiantische Richtung. Phasenweise wird in den acht Episoden von "Mrs. Davie" ein Pointenfeuerwerk gezündet, das auch vor unbekümmert albernen Einlagen nicht zurückschreckt. Doch den Rhythmus der Serie macht aus, dass die Richtung ständig gewechselt wird: Profunde Gespräche folgen auf absurde Action-Einlagen, sketchartige Nummern auf blutige Gore-Momente. Bis in die letzte Episode hinein weiß man nie, was als Nächstes kommt. Das gibt's selten.

Worum es in "Mrs. Davis" geht, ist deshalb nicht leicht zusammenzufassen - einerseits, weil die Autoren bewusst ein ziemliches Chaos in ihren Handlungssträngen anrichten, andererseits, weil man im Vorhinein nicht allzu viel von dem erwähnen sollte, was das Publikum im Laufe der Staffel da so ungestüm überrollen wird. Im Mittelpunkt all dessen steht die coole Nonne Simone (Betty Gilpin). Sie lebt in einem Konvent am wüstenstaubigen Rand von Reno, Nevada, wo sie tagsüber Erdbeermarmelade produziert und nachts im Kampf gegen ihren Feind unterwegs ist: Mrs. Davis. Hinter dieser titelgebenden Wesenheit verbirgt sich eine weltweit genutzte App, eine Künstliche Intelligenz als perfektionierte Fortschreibung von Siri, Alexa & Co., von den Menschen als allein maßgeblicher Lebens-Guide im Ohr herumgetragen als Bluetooth-Earpiece. Folge für Folge erweitert sich das Worldbuilding in dieser nicht allzu fernen Zukunft: Krieg und Hunger und soziale Nöte wurden durch Mrs. Davis angeblich abgeschafft, eine soziale Spaltung gibt es nicht mehr. Alle sind zufrieden. Bis auf Simone.

Die gemeinsame Mission führt Simone und ihren Mitstreiter Wiley (Jake McDornan) überhall hin - sogar in die Büros der Macht.
Die gemeinsame Mission führt Simone und ihren Mitstreiter Wiley (Jake McDornan) überhall hin - sogar in die Büros der Macht. Peacock

Simone pfeift auf die App und zieht gegen sie zu Felde. Das hängt mit ihren Eltern zusammen. Vater Monty (jovial: David Arquette aus den  "Scream"-Filmen) und Mutter Celeste (eisig: Elizabeth Marvel) tingelten einst als Zaubererehepaar durch die Lande, für Montys plötzlichen Tod macht Simone Mrs. Davis verantwortlich - mit der sie schließlich einen Deal schließt: Die App wird sich abschalten, sofern Simone den Heiligen Gral ausfindig machen kann und diesen zerstört.

Damit dockt die Erzählung an einen der seit dem Mittelalter beliebtesten Plots überhaupt an: die Grals-Legende, die sich vom Artus-Sagenkreis über Richard Wagners Opern bis hin zu  "Indiana Jones" quer durch die Kulturgeschichte zieht. Und wer der Meinung ist, man könne sich dieses Themas nicht absurder Annehmen, als es Monty Python einst mit  "Die Ritter der Kokosnuss" tat, wird von "Mrs. Davis" eines Besseren belehrt. Auf der Gralssuche platzen hier (buchstäblich) Köpfe, werden monumentale Sneaker-Werbespots gedreht und zombifizierte Strandurlauber aufgeboten, die der Gralssucherin, gleichgeschaltet von der App, im Chor "Electric Avenue" von Eddy Grant entgegensingen. Mit dieser Szene verliert dieser Achtzigerjahre-Song seine Unschuld...

Der Irrwitz ist hier Programm. So geht es mal ins tiefste Mittelalter hinein, wo sich Tempelritter und Martial-Arts-Nonnen blutig um die heilige Schale streiten, mal nach Schottland zu einem skurrilen Wettbewerb, bei dem es darum geht, wer seine Hand am längsten an einen gigantischen Excalibur-Schwert halten kann, ohne aufzugeben. Es geht in dunkle Kerker und in den Vatikan, wo ein päpstlicher Doppelgänger sein Unwesen treibt. Auf See kommt es zu einer abstrusen Verquickung von "Moby Dick" und "Pinocchio", und auf einer einsamen Insel wartet ein gewisser Herr Schrödinger (Ben Chaplin,  "Mord nach Plan") mit seiner Katze auf Simone, um ihr eine ganze Episode lang als Storytelling-im-Storytelling seine entscheidende Vorgeschichte zu erzählen - zu der eine junge Gralshüterin (Mathilde Ollivier,  "Operation: Overlord") ebenso gehört wie ein mysteriöser Frauenbund und dessen Anführerin Mathilde (mit Pagenschnitt: Katja Herbers aus  "Evil").

Strategiegespräch in der Wüste von Nevada: Wiley trifft den Untergrundkämpfer JQ (Chris Diamantopoulos, r.).
Strategiegespräch in der Wüste von Nevada: Wiley trifft den Untergrundkämpfer JQ (Chris Diamantopoulos, r.). Peacock

Ein dubioser Priester (Tom Wlaschiha aus  "Game of Thrones") mischt in diesem Reigen ebenso mit wie eine deutsche Kidnappertruppe, deren Boss Dieter Goebbels heißt, oder die leibhaftige Jungfrau Maria, gespielt von Shohreh Aghdashloo aus  "The Expanse", der Frau mit der tiefsten Stimme im US-Fernsehen. An einer Stelle wird ein herrlich aus dem Ruder laufender heist unternommen, und gegen Ende führt uns die Serie ein besonders gruseliges Beispiel für Mrs. Davis' Wohlfühl-Terrorregime vor: ein Achterbahn-architektonisch beeindruckendes Selbstmordzentrum in der Wüste. Ein besonderes Highlight ist der ewige Szenendieb Chris Diamantopoulos ( "Silicon Valley"), der hier als maximal-aufgepumpter Anführer einer im Untergrund operierenden Résistance aus lauter Tech-Nerds agiert, die sich von Mrs. Davis entmannt fühlen und die App daher zerstören wollen.

Schon anhand dieser (kleinen) Auswahl dessen, was man in der Serie erwarten kann, dürfte klargeworden sein: Nichts ist unmöglich in "Mrs. Davis". Dass die Gag-Parade immer wieder für What-the-fuck-Momente unterbrochen wird, findet in den Dialogen übrigens ebenso Erwähnung, wie auch wiederholt selbstironische "Lost"-Zitate eingeflochten werden - vom Gestrandeten auf einer einsamen Insel über die berühmt-berüchtigten Luken bis hin zur Warnung, dass man so manches Mysterium am besten gar nicht erst lüften sollte. Eine Anspielung auf die vielen Rätsel, in denen sich die legendäre Abenteuerserie damals verzettelte.

Dass all diese Gags, Meta-Gags und Meta-Meta-Gags mit den Action-, Suspense- und Drama-Elementen der Serie tatsächlich zusammengehen und die Serie angesichts ihrer vielen Einzelteile nicht auseinanderfliegt, liegt nicht zuletzt an Betty Gilpin. Der  "GLOW"-Star, der im Kinothriller  "The Hunt" schon einmal nach einem Lindelof-Drehbuch spielte, erweist sich hier als notwendiger Anker im buntgescheckten Tohuwabohu. Das Staunen, die Wut, den Schmerz verkörpert sie ebenso stark wie die pure Lust am Albernen, immer wieder muss sie all diese Emotionen im schnellen Wechsel innerhalb einer Szene, ja sogar innerhalb einer Einstellung abbilden - was sie souverän fertigbringt.

Ihr zur Seite, in einer Art spirituellem Liebesdreieck, stehen zwei Männer. Der erste ist Wiley (Jake McDorman,  "Die Helden der Nation"), mit dem sie früher mal zusammen war, bevor sie ihr Gelübde ablegte. Wiley ist ein kindischer Typ, ein Westentaschen-Cowboy und klassischer Goofball, den McDornan aber so sympathisch anlegt, dass die Serie immer dann am besten ist, wenn Simone und er sich wie ein Screwball-Comedy-Duo durchs surreale Geschehen treiben lassen und sich dabei sitcomtaugliche Dialoge liefern. Demgegenüber steht Simones jetziger Ehemann, der sanfte Koch Jay (Andy McQueen aus  "Coroner"), der in einer merkwürdig verlassenen Falafelbude arbeitet und stets ein offenes Ohr für Simone hat. Klare Sache, wer dieser Jay eigentlich ist.

Tröstet die Seele und kocht leckere Falafel: Jay (Andy McQueen) ist Simones große Liebe.
Tröstet die Seele und kocht leckere Falafel: Jay (Andy McQueen) ist Simones große Liebe. Peacock

Tatsächlich verbirgt sich inmitten des farcenhaften Geschehens eine durchaus spannende Abhandlung über den Gegensatz von Spiritualität und Technologie: Was unterscheidet diejenigen voneinander, die sich ihr Leben maßgeblich von den Algorithmen der App anleiten lassen, von jenen, die eine übersinnliche Instanz wie Gott (oder mehrere Götter) als Richtschnur akzeptieren? Welchen Standpunkt hat da noch, in beiden Fällen, der freie Wille? Bis wohin hilft und tröstet der spirituelle Glaube (oder der Glaube an die Technologie), ab wann führt er in die Unmündigkeit? Wie wenig den berechneten Wirklichkeiten im Zeitalter von ChatGPT und Co. noch zu trauen ist, spielt "Mrs. Davis" immer wieder formal durch, wenn sich ganze Sequenzen in späteren Folgen plötzlich völlig anders und neu kontextualisiert präsentieren: Auf das "Who watches the watchmen?" aus Lindelofs letzter Miniserie folgt hier eine Art "Who checks the facts of the fact checkers?" oder: Was und wer speist den Algorithmus, der die Menschen angeblich glücklich macht? Wäre es gut oder im Gegenteil weltzerstörerisch, diese App wieder abzuschalten?

Ganz so tief wie "The Leftovers" oder "Watchmen" gräbt "Mrs. Davis" allerdings nicht. Als Meisterwerk auf deren Niveau muss man diese acht Folgen am Ende nicht bezeichnen, dazu verlieren sie sich bisweilen ein bisschen zu sehr (wenn auch äußerst unterhaltsam) in den eigenen Verspieltheiten. Andererseits ist dieses satirische, allzeit pathosfreie Nicht-Ernst-Nehmen von allem und jedem gerade das Erfrischende. So kriegt selbst Mrs. Davis höchstselbst am Ende ihr Fett weg - wenn Simone auf die ursprüngliche Programmiererin trifft (Ashley Romans), die eine finale Enthüllung in petto hat, nach der man nicht weiß, ob man vor Lachen schreien oder in Panik verfallen sollte.

Das allerdings fasst die Pole ziemlich gut zusammen, zwischen denen sich hier alles fröhlich hin- und herbewegt: "Mrs. Davis" ist ein Unikum von einer Serie, die gewiss nicht den Geschmack aller treffen wird, aber denen, die das Besondere suchen, den Blick definitiv wert sein sollte. So mancher "Content", der heutzutage die Streamingdienste verstopft, scheint selbst von Algorithmen geschaffen worden zu sein; "Mrs. Davis" aber ist das genaue Gegenteil davon.

Dieser Text basiert auf der Sichtung aller acht Episoden von "Mrs. Davis".

Meine Wertung: 4/5

Die Serie "Mrs. Davis" wurde in den USA ab April veröffentlicht. Es ist unklar, ob auf die erste Staffel eine weitere folgen wird. Die Serie von Peacock und Warner Bros. Television hat bisher noch keine bekannt gewordene Heimat in Deutschland oder einen Starttermin.


 

Über den Autor

Gian-Philip Andreas hat Kommunikationswissenschaft studiert und viel Zeit auf diversen Theaterbühnen verbracht. Seit 1997 schreibt er für Print und online vor allem über Film, Theater und Musik. Daneben arbeitet er als Sprecher (fürs Fernsehen) und freier Lektor (für Verlage). Für TV Wunschliste rezensiert er seit 2012 Serien. Die seiner Meinung nach beste jemals gedrehte Episode ist Twin Peaks S02E07 ("Lonely Souls") ­- gefolgt von The Sopranos S03E11 ("Pine Barrens"), The Simpsons S08E23 ("Homer's Enemy"), Mad Men S04E07 ("The Suitcase"), My So-Called Life S01E11 ("Life of Brian") und selbstredend Lindenstraße 507 ("Laufpass").

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