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TV-Kritik/Review: "Big Brother" im Low-Budget-Modus: Verschenktes Potenzial in der Streamingnische

Konzeptuelle Fehler und Sparkurs schadeten Realityshow auf Joyn
Der Anfangscast von "Big Brother" 2024
Seven.One/Willi Weber
TV-Kritik/Review: "Big Brother" im Low-Budget-Modus: Verschenktes Potenzial in der Streamingnische/Seven.One/Willi Weber

Vier Jahre zogen ins Land, bis es nach der glücklosen Sat.1-Staffel und einer langen Pause wieder so weit war und  "Big Brother" im März dieses Jahres zum 14. Mal in Deutschland seine Tür öffnete. Diesmal unter anderen Vorzeichen: Zum ersten Mal in der Geschichte des Formats wurden die Tageszusammenfassungen nicht zeitnah bei einem linearen Sender ausgestrahlt, sondern exklusiv bei dem Streamingdienst Joyn. Dort kehrte zur Freude der Fans auch der 24-Stunden-Livestream zurück - im kostenpflichtigen Bereich Joyn Plus+, allerdings im Gegensatz zum früheren Sky-Kanal ohne zusätzliche Gebühr. Einzig die wöchentlichen Live-Shows sollten planmäßig zu später Stunde am Montagabend in Sat.1 ausgestrahlt werden - nicht die einzige Fehlentscheidung, die getroffen wurde. Vor dem Finale am kommenden Montag (10. Juni) zieht TV Wunschliste ein Staffelfazit.

"BB14" sollte sich ganz offiziell an der allerersten Staffel orientieren. So wie im Jahr 2000 lebten die Bewohner also in kompletter Isolation in einem einzigen Bereich im Container - allerdings nicht mehr wie damals in Hürth, sondern auf dem ehemaligen Gelände der  "Lindenstraße" in Köln-Bocklemünd, das schon für die zurückliegende  "Promi Big Brother"-Staffel genutzt wurde. Luxus gab es nicht, stattdessen bestach der Container durch seine simple Ausstattung. Alles war normal bis spartanisch eingerichtet und spielte sich auf 378 Quadratmetern ab. Es gab ein gemeinsames Schlafzimmer für alle Bewohner mit Stockbetten. Der Außenbereich erinnerte mehr an einen vergrößerten Austritt als an einen Garten.

Bewohner im Garten
Bewohner im Garten Seven.One

Sparen an allen Ecken und Enden

Spartanisch war jedoch nicht nur die Einrichtung. Wer dachte, dass bereits die Staffeln 12 (2015 bei sixx) und 13 (2020 in Sat.1) kostengünstig dahergekommen waren, dem wurde mit Staffel 14 bewiesen, was Low Budget wirklich heißt: Überwiegend wurden die Bewohner sich selbst überlassen. Insbesondere in den ersten Wochen waren Aufgaben oder anderer redaktioneller Input für die Bewohner Mangelware. Aufwendige sportliche Herausforderungen oder gar ein Matchfield gehörten längst der Vergangenheit an. Auch Wissensspiele gab es selten, stattdessen wurden überwiegend belanglose Partyspiele durchgeführt, wie einen Jenga-Turm bauen oder einen Tischtennisball mit dem Schläger so lange wie möglich in der Luft halten. Es gab nicht mal mehr wie früher einen Matchmaster bzw. Schiedsrichter, stattdessen mussten die Bewohner die Spielregeln von einem Bildschirm selbst vorlesen. Die sogenannte "Aufgabe der Woche" dauerte oftmals nur eine halbe Woche - sofern sie nicht direkt von den demotivierten Bewohnern abgebrochen wurde.

Das Tischtennisball-Spiel - exemplarisch für die Staffel
Das Tischtennisball-Spiel - exemplarisch für die Staffel Seven.One

Die Tageszusammenfassungen waren nicht mehr wie früher 45 Minuten lang, sondern wurden auf äußerst knappe 32 Minuten reduziert. Die Liveshows hatten die Bezeichnung "Show" eigentlich nicht mehr verdient. Früher waren sie das "BB"-Highlight der Woche mit aufwendigen Live-Matches, Live-Nominierungen, Gästen, Fanblöcken und vielem mehr. 2024 fanden die Sendungen dagegen ohne Publikum und auch nicht mehr in einem richtigen TV-Studio statt. Stattdessen meldete sich Jochen Schropp aus einem kleinen Aufenthaltsort auf dem Container-Gelände. Entsprechend ernüchtert waren die ausgeschiedenen Bewohner, die nach ihrem Exit nicht von jubelnden Fans empfangen wurden, sondern lediglich ein kurzes Gespräch mit dem Moderator an der Ausgangstür führen durften. Bewohnerin Luanna, die an einem Feiertag zu unüblicher Zeit den Container verlassen musste, wurde nicht einmal von Schropp abgeholt. Das Ergebnis dieses Exit-Votings wurde sogar von der "BB"-Stimme (Phil Daub) nicht live gesprochen, stattdessen wurden voraufgezeichnete Tonschnipsel ins Haus gespielt.

Das sind nur ein paar Beispiele dafür, wie in der Staffel an allen Ecken und Enden gespart wurde. Die größte Herausforderung bestand für die Bewohner darin, die lähmende Langeweile im Container auszuhalten - was diese auch unverblümt äußerten. Möglicherweise warfen auch deshalb so viele von ihnen das Handtuch. Mit einem Einzug von anfangs 17 Bewohnern wollte man eigentlich vermeiden, ungeplante Exits mit Ersatzbewohnern kompensieren zu müssen. Doch nach insgesamt vier freiwilligen Auszügen und einem Rauswurf wegen Fehlverhalten schickte man zur Hälfte der Staffel doch drei Nachzügler rein, die auch tatsächlich für nötigen frischen Wind sorgten. Auch insgesamt war der vielfältige Cast ein großer Pluspunkt der Staffel, der im Vergleich zu den Vorjahresstaffeln auch eine größere Altersspanne (Bewohner zwischen 20 und 55 Jahren) umfasste. Ganz gezielt entschied man sich gegen Influencer oder bereits anderweitig bekannte TV-Persönlichkeiten. Zu den prägenden Bewohnern der Staffel gehören die quirlige Dramaqueen Frauke und ihre On/Off-Beziehung mit Marcus, der stolze Finalticket-Inhaber Mateo, die warmherzige Container-Mutti Tanja alias Taube und "Bruder" Christian, der wegen Mitbewohnerin Maja schon lange "Vögel im Bauch" hat.

Die Finalisten: (v. l.) Maja, Frauke, Christian, Marcus, Benedikt und Mateo
Die Finalisten: (v. l.) Maja, Frauke, Christian, Marcus, Benedikt und Mateo Seven.One

Beschäftigt die Bewohner!

Als "Big Brother" im Jahr 2000 an den Start ging, wurden die Bewohner weitgehend sich selbst überlassen. Das war damals für die Zuschauer anfangs noch neu und aufregend, doch bereits die dritte Staffel entwickelte sich zum Flop. Deshalb wurde ab der vierten Staffel ein neuer Ansatz verfolgt, der weniger Langeweile und mehr Spannung versprach. Statt eines einzigen Wohnbereichs gab es ein Haus mit zwei getrennten Bereichen - einem luxuriösen und einem kargen Bereich im Freien, wo auf Stroh geschlafen werden musste. Die Bewohner wurden entsprechend in zwei Teams aufgeteilt und mussten in "Battles" (später "Matches") kontinuierlich gegeneinander antreten.

Eine Aufteilung in unterschiedliche Wohnbereiche ist kein Muss, doch alleine dadurch, dass 17 Menschen gemeinsam in einem Container leben, entstehen eben noch keine interessanten Geschichten. Die Bewohner müssen regelmäßig neuen Input erhalten und gefordert werden. Anstelle von belanglosen Partyspielen wären Wissensmatches, in denen der Bildungsstand der Bewohner entlarvt wird, viel interessanter. Auch wohldurchdachte Psychospielchen in Kombination mit unmoralischen Angeboten sind äußerst wirkungsvoll, um den Charakter der Kandidaten besser kennenzulernen und sie aus der Reserve zu locken.  "Kampf der Realitystars" beim ehemaligen "BB"-Heimatsender RTL Zwei stellt auf beeindruckende Weise unter Beweis, welche Wirkung ausgeklügelte Spiele für den weiteren Verlauf des Geschehens haben können. Das Bittere daran: Vor 15 bis 20 Jahren hatte man auch bei "Big Brother" noch ein hervorragendes Händchen dafür.

Nachdem bereits bei den Staffeln 12 und 13 von sixx bzw. Sat.1 der Rotstift angesetzt wurde, wurde das Budget in der Joyn-Staffel sichtlich noch mehr gekürzt. Was die Verantwortlichen jedoch nicht unterschätzen sollten: An "die fetten Jahre" können sich "Big Brother"-Fans auch heute noch erinnern und die fühlen sich natürlich vor den Kopf gestoßen, wenn sie mit immer billigeren, lieblos zusammengeschusterten Discounter-Versionen abgespeist werden.

Wenig glanzvoller Auszug: Bewohner Nicos wird von Jochen Schropp empfangen.
Wenig glanzvoller Auszug: Bewohner Nicos wird von Jochen Schropp empfangen. Seven.One

Konzeptuelle Fehler

Ganz offensichtlich durfte die Joyn-Staffel nicht viel kosten, doch auch mit geringem Budget hätte man eine ordentliche Produktion hinbekommen können. Bedauerlicherweise wurden aber auch konzeptuell einige Fehler gemacht - allen voran bei der Nominierung, dem absoluten Herzstück des Formats. Aus unerfindlichen Gründen wurde in der gesamten Staffel nur zweimal eine normale Nominierung durchgeführt, bei der wirklich alle Bewohner eine Stimme hatten. In den meisten anderen Fällen hatten nur einige wenige Bewohner als Belohnung für gewonnene Spiele die alleinige Macht darüber, wer auf der Liste landet - oder sie konnten sich selbst schützen. Dies hatte zur Folge, dass sich manche Bewohner in der gesamten Staffel kein einziges Mal dem Zuschauervoting stellen mussten. Immerhin: In der zweiten Staffelhälfte war ein guter Wille erkennbar und man bekam den Eindruck, dass die Macher selbst mehr Spaß an der Sendung bekamen und die Bewohner liebgewonnen hatten. Die Verantwortlichen legten sich spürbar mehr ins Zeug und setzten originelle Ideen um wie die Würfelwoche oder "Böse Weihnachten". Auch die "Stunde der Wahrheit" für mehrere Bewohner zeigte Wirkung. Doch insgesamt wurde viel zu viel Potenzial verschenkt. Wer in dieser Staffel zum ersten Mal mit "Big Brother" in Berührung kam, wird den Reiz des Formats vermutlich nicht nachvollziehen können.

"Böse Weihnachten" im Mai
"Böse Weihnachten" im Mai Seven.One

Im Vorfeld der Staffel wurden von Joyn mehrere Journalisten und auch YouTuber für einen Tag "Probewohnen" in den Container eingeladen. Davon erhofften sich die Verantwortlichen natürlich möglichst viel Berichterstattung. Doch abgesehen von Artikeln zum Staffelstart fand "Big Brother" medial kaum statt. Auch bekannte Reaction-YouTuber, die jedes noch so kleine RTL+-Format behandeln, ließen "BB" einfach links liegen. Weiteren Schlagzeilen machte "BB" höchstens noch mit Berichten über die schlechte Einschaltquote - ein anderes hausgemachtes Problem, das man sich mit dem unmittelbaren Verzicht auf die Ausstrahlung der Liveshows in Sat.1 hätte sparen können. Schließlich wollte man die Fans zu Joyn lotsen, die sich dann natürlich logischerweise auch direkt dort die Liveshow ansahen und nicht mehr in Sat.1. Nachdem die Startshow noch von 990.000 neugierigen Zuschauern verfolgt wurde, brachen die linearen Quoten der von Jochen Schropp moderierten, wöchentlichen Liveshows rasch ein, weshalb auch diese im Verlauf der Staffel zu Joyn wechselten.

Moderator Jochen Schropp im kleinen "BB"-Studio
Moderator Jochen Schropp im kleinen "BB"-Studio Seven.One/Willi Weber

Die lineare TV-Quote sei für den Erfolg ohnehin nicht ausschlaggebend, hieß es. Vor allem sollte "Big Brother" den Streamingdienst Joyn pushen. Hier wurde im Verlauf der Staffel mehrfach betont, dass diese über den Erwartungen laufe und ein großer Wachstumstreiber für Joyn sei. Insbesondere sei der Livestream erfolgreich - im Schnitt schaute laut Joyn jeder Livestream-Nutzer über vier Stunden "Big Brother" pro Tag. Nach Angaben von DWDL betrug dort die wöchentliche Nettoreichweite 170.000 Zuschauer. Das erscheint auf den ersten Blick überschaubar - und dennoch ist BB für den insgesamt wenig populären Streamingdienst eines der gefragtesten Formate. Ob es am Ende für eine Fortsetzung reichen wird oder die nächste Durststrecke bevorsteht, bleibt abzuwarten. Zuvor wird am kommenden Montag der oder die diesjährige Gewinner/in gekürt - und im Gegensatz zu früher voraussichtlich nicht von einer jubelnden Menschenmenge mit Feuerwerk gefeiert, sondern lediglich von Jochen Schropp abgeholt.

"Big Brother" - Eine Erfolgsgeschichte, die länger als nur zwei Staffeln dauerte

Nicht außer Acht zu lassen ist natürlich die insgesamt veränderte Medienwelt: Als am 28. Februar 2000 die erste Staffel von "Big Brother" startete, begann eine neue TV-Ära. Zum ersten Mal zogen zehn bis dato völlig unbekannte Menschen in einen Container und ahnten nicht, worauf sie sich einließen. Begleitet wurde der Start von einer riesigen moralischen Diskussion in Medien und Politik darüber, ob so ein TV-Projekt gegen die Menschenwürde verstößt. Heute, 24 Jahre später, regt sich niemand mehr über "Big Brother" auf. Doch wer behauptet, dass das Format nicht mehr zeitgemäß sei oder "niemand mehr braucht", wie dies jüngst Peer Schader in einem DWDL-Artikel tat, macht es sich zu einfach und ignoriert die Tatsache, dass sich "Big Brother" international immer noch bester Gesundheit erfreut und auch heute noch in über 20 Ländern auf Sendung ist.

Was von Journalisten, die sich nur oberflächlich mit dem Phänomen "BB" befassen, gerne übersehen wird, ist, dass "Big Brother" hierzulande mitnichten nur zwei Staffeln lang ein Erfolg war. Es ist richtig, dass der ganz große Hype danach vorbei war, doch für RTL II sorgte der Große Bruder elf Staffeln lang bis 2011 für solide bis überdurchschnittliche Quoten - und das trotz mehrerer Turbulenzen: Nach der verkorksten dritten Staffel kehrte das Format nach zweijähriger Pause als "Big Brother - The Battle" mit einem überarbeiteten Konzept und erstmals zwei getrennten Wohnbereichen zurück. 2004 wurde dann Fernsehgeschichte geschrieben: Die fünfte Staffel dauerte ein ganzes Jahr lang, 365 Tage - bis heute weltweit einmalig in der Geschichte des Formats. Mit nun drei Wohnbereichen, Reichweiten von bis zu zwei Millionen Zuschauern und zweistelligen Marktanteilen von durchschnittlich 11,8 Prozent am Vorabend war "BB5" ein voller Erfolg.

In der sechsten Staffel gab es ein ganzes "Big Brother"-Dorf.
In der sechsten Staffel gab es ein ganzes "Big Brother"-Dorf.RTL II/Screenshot

In Staffel 6, die erneut fast ein ganzes Jahr lang dauerte, ging man noch einen Schritt weiter und stellte ein ganzes "Big Brother"-Dorf auf die Beine. Die Bewohner lebten in einem Areal von rund 4000 Quadratmetern, das aus mehreren voneinander abgetrennten Häusern bestand - neben Wohnbereichen gab es erstmals auch Arbeitsbereiche. Die Quoten fielen im Vergleich zu "BB5" ab, doch unter Fans gelten die beiden Jahresstaffeln rückblickend als die qualitativ besten. Die neunte Staffel drohte ein Flop zu werden, doch nach einem "Reloaded"-Relaunch konnte man das Ruder wieder herumreißen - und die zehnte Staffel war 2010 mit Reichweiten von bis zu 1,5 Millionen Zuschauern dann sogar die erfolgreichste seit "BB5".

Auch das Finale der elften Staffel lockte 2011 noch eine Menschenmenge vor das "Big Brother"-Haus.
Auch das Finale der elften Staffel lockte 2011 noch eine Menschenmenge vor das "Big Brother"-Haus. RTL II/Screenshot

Trash-TV-Overkill statt Reality-TV

Zwischen 2000 und 2011 war "Big Brother" - zusammen mit dem  Dschungelcamp (ab 2004) - langfristig betrachtet der alleinige Platzhirsch auf dem Gebiet der Realityshows. Frühe Versuche, mit Trittbrettfahrer-Formaten auf den Zug aufzuspringen, scheiterten. In den vergangenen zwölf Jahren schossen jedoch immer mehr Formate aus dem Boden, die ankamen und immer noch eine Schippe drauflegen wollten: Von  "Der Bachelor" (ab 2012) und  "Die Bachelorette" (ab 2014) über  "Adam sucht Eva" (ab 2014) und  "Das Sommerhaus der Stars" (ab 2016) bis hin zu Auswüchsen wie  "Love Island" (ab 2017),  "Bachelor in Paradise" (ab 2018),  "Paradise Hotel" und  "Temptation Island" (beide ab 2019),  "Are You The One?",  "Ex on the Beach",  "#CoupleChallenge" und  "Promis unter Palmen" (ab 2020),  "Prominent getrennt",  "Das große Promi-Büßen" und  "Make Love, Fake Love" (ab 2022) und  "Forsthaus Rampensau Germany" (ab 2023).

Eine Realityshow steht und fällt mit seinen Teilnehmern. "Big Brother" zeichnete sich in seinen besten Staffeln durch eine bunte Mischung an Bewohnern aus, die das breite Spektrum der Bevölkerung widerspiegelten - aus verschiedensten Regionen, Kulturkreisen, Altersklassen und mit unterschiedlichen Bildungsgraden und sexuellen Orientierungen. Der Handwerker war genauso vertreten sein wie der Student, die Lehrerin, der Nerd oder die Hausfrau. In Sendungen wie "Love Island" und anderen Datingformaten hingegen beschränkt sich das Teilnehmerfeld auf Models, Fitnessgurus und Social-Media-Influencer mit viel Bizeps und mangelndem Intellekt.

Ein typischer "Love Island"-Cast
Ein typischer "Love Island"-Cast RTL II/Magdalena Possert

Sprach man zuvor jahrelang von Reality-TV, hielt im Zuge dieser Entwicklung der inzwischen inflationär gebrauchte Begriff des Trash-TV Einzug. Damit einher geht eine veränderte Erwartungshaltung und Bewertung der Protagonisten. Bei diversen Insel-Kuppelshows oder Formaten mit Möchtegern-Z-Promis geht es den Zuschauern vorwiegend darum, sich über das haarsträubende und teilweise primitive Sozialverhalten der Teilnehmer zu amüsieren. Dabei soll es möglichst viel Stress, Konflikte und "Konfro" geben, damit die Zuschauer ihre niedersten Instinkte befriedigen können. Schadenfreude und Häme spielen die zentrale Rolle. All das hat jedoch wenig mit der Grundidee von "Big Brother" gemein. Im Kern geht es dort nämlich um ein langfristiges Sozialexperiment, bei dem sich eine Gruppe von zusammengewürfelten Menschen über mehrere Monate isoliert von der Außenwelt organisieren muss. Die Zuschauer beobachten die Entwicklung gruppendynamischer Prozesse und werden Zeuge davon, wie sich Lieb- und Feindschaften bilden.

Livestream und Ausstrahlung in Echtzeit als USP von "Big Brother"

Zahlreiche BB-Konkurrenzformate werden heutzutage mehrere Monate - teilweise sogar ein halbes Jahr - im Voraus aufgezeichnet. Die Macher haben dadurch genügend Zeit, um das Geschehen stark komprimiert aufs Wesentliche in acht bis zehn Folgen zusammenzuschneiden. Oder es handelt sich wie bei "Ich bin ein Star - Holt mich hier raus!" und  "Promi Big Brother" um zweiwöchige Eventshows. Eine langfristige Bindung zwischen Zuschauer und Protagonisten ist kaum möglich und auch gar nicht gewollt - es geht dort nur um das kurze Trash-Vergnügen.

Die Bewohner beim gemeinsamen Abendessen zu Beginn der Staffel
Die Bewohner beim gemeinsamen Abendessen zu Beginn der Staffel Seven.One

"Big Brother" hingegen ist das einzige Format, das über einen langen Zeitraum in Echtzeit ausgestrahlt wird und bei dem die Zuschauer per Livestream bei Ereignissen mit dabei sein können - und zwar in dem Moment, in dem sie passieren, ohne nachträgliche Bearbeitung durch die Postproduktion. Es ist die purste Form des Reality-TV. Die vergleichsweise lange Laufzeit ist Stärke und Schwäche zugleich. Denn im Gegensatz zu anderen Formaten soll sich alles so natürlich und authentisch wie möglich entwickeln. Dies hat zur Folge, dass es länger dauert, bis man mit den Bewohnern "warm" wird. Vermutlich haben einige Zuschauer deshalb keine Geduld mehr und sind nicht (mehr) bereit, sich auf eine Realityshow von 100 und mehr Tagen einzulassen - abgesehen vom harten Kern.

Wer "Big Brother" guckt, möchte in erster Linie sehen, wie Menschen aus verschiedensten Gesellschafts- und Bildungsschichten zusammengewürfelt werden und sich irgendwie arrangieren müssen. Aufgrund der langen Laufzeit baut man auch als Zuschauer eine viel stärkere Bindung auf, identifiziert sich mit bestimmten Bewohnern, fiebert mit ihnen mit und entwickelt klare Sympathien und Antipathien. Nur bei "Big Brother" ist es wirklich möglich, Menschen in all ihren Facetten über einen langen Zeitraum kennenzulernen - und zwar nicht aus einer ironischen, elitär-distanzierten Perspektive. Nicht selten muss man im Verlauf der Staffel seine vorgefertigten Meinungen über Bord werfen und seinen ersten Eindruck über so manche Bewohner revidieren. Deshalb verspürt man auch eine gewisse Leere, wenn eine Staffel vorbei ist und die liebgewonnenen Charaktere, die einen monatelang begleitet haben, plötzlich weg sind.

Hat gute und schlechte Seiten - und überstand sechs Nominierungsrunden: Finalistin Frauke
Hat gute und schlechte Seiten - und überstand sechs Nominierungsrunden: Finalistin FraukeSeven.One

"Big Brother" läutete vor 24 Jahren den Reality-Boom im deutschen Fernsehen ein. In dem TV-Format steckt auch heute noch viel Potenzial. Nicht umsonst ist es in zahlreichen Ländern immer noch auf Sendung. Es gibt eine Fangemeinde, die dem Format über Jahrzehnte die Treue gehalten hat und die theoretisch immer noch richtig Bock auf das Format hat. Man muss es in Deutschland aber endlich wieder besser umsetzen und zurück auf den richtigen Kurs bringen.


 

Über den Autor

Glenn Riedmeier ist Jahrgang '85 und gehört zu der Generation, die in ihrer Kindheit am Wochenende früh aufgestanden ist, um stundenlang die Cartoonblöcke der Privatsender zu gucken. "Bim Bam Bino", "Vampy" und der "Li-La-Launebär" waren ständige Begleiter zwischen den "Schlümpfen", "Familie Feuerstein" und "Bugs Bunny". Die Leidenschaft für animierte Serien ist bis heute erhalten geblieben, zusätzlich begeistert er sich für Gameshows wie z.B. "Ruck Zuck" oder "Kaum zu glauben!". Auch für Realityshows wie den Klassiker "Big Brother" hat er eine Ader, doch am meisten schlägt sein Herz für Comedyformate wie "Die Harald Schmidt Show" und "PussyTerror TV", hält diesbezüglich aber auch die Augen in Österreich, Großbritannien und den Vereinigten Staaten offen. Im Serienbereich begeistern ihn Sitcomklassiker wie "Eine schrecklich nette Familie" und "Roseanne", aber auch schräge Mysteryserien wie "Twin Peaks" und "Orphan Black". Seit Anfang 2013 ist er bei TV Wunschliste vorrangig für den nationalen Bereich zuständig und schreibt News und TV-Kritiken, führt Interviews und veröffentlicht Specials.

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Leserkommentare

  • Julika75 schrieb am 09.06.2024, 15.41 Uhr:
    Guter Bericht, jetzt weiß ich wenigstens was ich "nicht" verpasse.
    Wusste ehrlich gesagt gar nicht das es noch läuft...
    Von mir aus brauchen sie das Format nicht wieder aufpeppen lassen, nteressiert mich eh schon lange nicht mehr.
  • Alohomora schrieb am 09.06.2024, 14.10 Uhr:
    Toller Bericht, danke!
    Ich persönlich bin kein Fan von zwei Bereichen. Allerdings fehlt dem diesjährigem Bereich sehr viel, vor allem ein größerer Außenbereich. Dieser lieblose Hof war echt unsäglich. In anderen Staffeln gab es z.b. Hühner um die sich gekümmert werden musste, Pool, Sportgeräte. Mehr Beschäftigungsmöglichkeiten halt. Da braucht es keine zwei Bereiche. Was mir auch fehlte waren Konsequenzen. ECHTE Konsequenzen bei Regelbrüchen oder Aufgeben der Wochenaufgabe. Die Bewohner waren respektlos und taten was sie wollten, hatten ja keine wirklichen Konsequenzen zu fürchten. Die einen hielten den Laden am laufen, andere lagen nur Faul rum und haben absolut keinen Finger gerührt. Der eine durfte „alle Ratten zertreten“ und kam trotzdem ins Finale- die andere wurde rausgeworfen und es wurde nicht klar kommuniziert wofür genau. Egal ob für Sat1 oder einen Streamingdienst- die Fehler lagen in der Produktion. Das hätte besser sein müssen.
  • snuw2net schrieb am 07.06.2024, 23.23 Uhr:
    Hervorragende Analyse, Danke.
  • Redaktion Glenn Riedmeier schrieb am 07.06.2024, 19.32 Uhr:
    Vielen Dank für das freundliche Feedback! Freut mich, dass mein Bericht positiv ankommt. :-)
  • Valery schrieb am 07.06.2024, 17.47 Uhr:
    Ich bin Fan der ersten Stunde. Am Budget sparen, heißt an interessierten Zuschauen sparen. Ich lebe auch zeitweise in England und dort ist BB noch immer ein TV Ereignis. Peppige Moderatoren. Ein super Haus. Aufwendige Spiele und beim Auszug werden die Bewohner gefeiert. Aftershow ist Live mit Publikum und deren Integration. Spannend pur.

    Ich wünsche mir das Zweibereiche-Haus zurück. Also Bewohner noch kämpfen mussten um in einen Bereich zu gelangen. 2024 ist weit entfernt von Entertainment und guter Unterhaltung. Der klägliche Versuch die letzte Woche durch ehemalige Staffelbewohner aufzupeppen ist ein Witz.

    Man möchte Unterhaltung. Ich sehe rumgammelnde im Bett/Garten liegende Bewohner. Leute dann auch noch dazu zu animieren Joyn zu zahlen ist ein Joke. 

    Die Bewohner können selbst kaum etwas ändern, sie tun mir eher leid, diese einmalige Chance im Leben auf so kostensparende Weise zu absolvieren. Billige nervtötende Spiele um die letzten Tage hinter sich zu bringen

    Danke für den auf den Punkt gebrachten Bericht.
  • Michael Knight schrieb am 07.06.2024, 17.26 Uhr:
    Was für ein toller Bericht, besser hätte man es nicht schreiben und zusammen fassen können. Danke dafür Glenn. Es ist schade was aus BB geworden ist ja, aber die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt!!! So das ich hoffe, in nächster Zeit ein neues BB zu sehen und wieder genießen kann, wie früher mal. BB forever!!!
  • flädle schrieb am 07.06.2024, 16.57 Uhr:
    Sehr gute Zusammenfassung für die langweiligste, liebloseste Billig-Staffel überhaupt.
    Der Autor hat bereits das meiste erwähnt, was schief lief.
    Auch die Kameraführung war teilweise katastrophal.
    Mir hat außerdem noch das prozentuale Ranking bei den Nominierungen gefehlt, wenn ein Bewohner das Haus verlassen musste.
    Auch ich bin überzeugt, dass man aus den Fehlern lernen - und eine wirklich unterhaltsame nächste Staffel produzieren könnte. Mit Bewohnern, die nicht für ihren Fame und Followerzahlen ins Haus ziehen, sondern für das Format "brennen".
  • fy1967t-onlinede schrieb am 07.06.2024, 16.33 Uhr:
    Auf den Punkt. Schade, dass BB so lieblos umgesetzt wurde. Das müsste eigentlich auch der Produktion bewusst sein. Ich würde mir wünschen, dass es trotzdem nicht das Ende von „BB Normalo“ ist.
  • Johannes Braun schrieb am 07.06.2024, 14.10 Uhr:
    Treffende, ausführliche Analyse! Danke dafür!
  • User 1631340 schrieb am 07.06.2024, 13.26 Uhr:
    Eigentlich eine Frechheit, was für Schrott Formate uns Zuschauern angeboten werden. Tipp and die Sender: es gibt auch noch Menschen MIT Hirn! Bisschen mehr Anspruch bitte.
  • User 1490347 schrieb am 08.06.2024, 18.58 Uhr:
    Glauben Sie mir, die meisten Big Brother Fans der ersten Stunde, zeigen allein von der Rhetorik mehr als sie sich je erträumen können.