40 Jahre RTL: Von Anarchie und Gameshow-Kult zu Trash und Monotonie

Vor 40 Jahren, am 2. Januar 1984, ging der zweite deutsche Privatsender an den Start: RTL, der bis zum 31. Oktober 1992 unter dem Namen RTLplus firmierte. Anlässlich des runden Jubiläums haben in den vergangenen Wochen zahlreiche Mitarbeiter von TV Wunschliste ihre Gedanken zum Sender geteilt. Den Abschluss der Reihe macht heute Newsredakteur und Kritiker Glenn Riedmeier, der mit dem RTL der 1990er Jahre viele schöne Erinnerungen verbindet, dafür aber mit dem RTL von heute fast nichts mehr anfangen kann.

Denke ich an RTL, denke ich automatisch an große Shows, überdimensionale Studios und spannungsgeladene Überinszenierung. Wer sich - wie ich mittlerweile - eher in der Nische abseits des Mainstreams zu Hause fühlt, für den ist RTL meistens die falsche Wahl. Mit den sympathisch-chaotischen Anfängen, als der Sender am 2. Januar 1984 als RTLplus an den Start ging, hat das heutige RTL nichts mehr zu tun. Als die Torten bei  "Alles Nichts Oder?!" flogen, bei  "Dall-As" verbale Tiefschläge verteilt wurden und sich Models als Obstsorten bei  "Tutti Frutti" entblätterten, war beim Kölner Sender noch Anarchie angesagt. Es war das goldene TV-Zeitalter, von dem Hugo Egon Balder und Co. noch heute schwärmen - die Zeiten, als noch nicht Controller das Sagen hatten, sondern der damalige Senderchef Dr. Helmut Thoma nur sagte: Macht's einfach mal.

Die wilden 90er von RTL

Aufgrund meines Alters (Jahrgang 1985) verbinde ich die meisten nostalgischen Erinnerungen an RTL mit den 1990er Jahren, das nicht umsonst als das Gameshow-Jahrzehnt gilt. Bei der  "100.000 Mark Show" mit Ulla Kock am Brink und der  "Traumhochzeit" mit Linda de Mol habe ich als Heranwachsender mitgefiebert. Die Macher verstanden ihr Handwerk und es gelang ihnen stets, einen mitreißenden Spannungsaufbau zu kreieren - und die Shows dennoch nicht in die Länge zu ziehen. Denn um 22 Uhr war Schluss und der Samstagabendblock ging mit der humorvollen Verbrauchershow  "Wie bitte?!" und um 23 Uhr mit der legendären Comedy-Ensembleshow  "RTL Samstag Nacht" weiter.

Unvergessen bleibt für mich auch der Sonntagmorgen, den ich regelmäßig mit dem  "Li-La-Launebär" verbracht habe. Das war zu der Zeit, in der RTL wirklich noch ein Vollprogramm für Zuschauer jeden Alters war und am Wochenende nicht stundenlang Scripted Realitys wiederholt hat, sondern mit KRTL samstags und sonntags einen eigenen Programmblock für Kinder bereithielt.

Es hätte so schön sein können - doch dann kamen die 2000er und Dieter Bohlen

Nach der Jahrtausendwende gab es bei RTL jedoch einen massiven Wandel im Programm, der für mich eklatanter als bei anderen Sendern war. Die Gameshows wurden Schritt für Schritt abgesetzt - dass RTL 2003 sang- und klanglos das "Familien-Duell" beendete, um auf diesem Sendeplatz stattdessen die Doku-Soap  "Einsatz in 4 Wänden" zu zeigen, werde ich dem Sender nie verzeihen. Auch das Abendprogramm veränderte sich grundlegend. Anstelle von diversen Spielshows belegte den Samstags-Sendeplatz ab 2002 plötzlich  "Deutschland sucht den Superstar". Damals ahnte ich nicht, dass diese Monotonie bis ins Jahr 2024 andauern würde.

Um es klar zu sagen: Kein anderer Sender hat mich derart enttäuscht und in den vergangenen 20 Jahren kontinuierlich als Zuschauer verloren. Bei keinem anderen Sender spüre ich so sehr, dass Profitgier und Gewinnmaximierung oberste Priorität haben und dementsprechend auf Massenware für ein Massenpublikum gesetzt wird. Qualität, Anspruch, Originalität? Zweitrangig. Was im Trend liegt und Quote bringt, wird gemacht - alles andere eben nicht. Wirtschaftlich betrachtet natürlich völlig sinnvoll, für kreative Köpfe ist das aber die Hölle. Für Formate, die anders/mutig/experimentell/edgy sind, ist selbst an den Programmrändern längst kein Platz mehr.

Als jemand, der mit Schadenfreude und Häme absolut nichts anfangen kann, entwickelte ich eine regelrechte Verachtung für Sendungen wie  "Schwiegertochter gesucht",  "Bauer sucht Frau",  "Ich bin ein Star - Holt mich hier raus!",  "Das Sommerhaus der Stars",  "Der Bachelor",  "Das Supertalent" und "DSDS", die genau mit diesen niederen Instinkten Quote machen.  "Temptation Island",  "Ex on the Beach" und unzählige andere Formate haben die Trash-TV-Auswüchse im Streaming sogar weiter befeuert. Nein, das ist nicht mehr "mein RTL".

Kurzer Lichtblick

Einen Hoffnungsschimmer hatte ich, als im Frühjahr 2021 Henning Tewes die Geschäftsführung von RTL übernahm und die Vision hatte, den Sender seriöser zu machen. Als erste Amtshandlung beendete er die Zusammenarbeit mit dem umstrittenen Castingjuror Dieter Bohlen, um "DSDS" und "Supertalent" in eine neue, familienfreundliche Ära zu schicken. Doch das gelang genauso wenig wie der Versuch, mit neuen Formaten die positivere Senderausrichtung voranzutreiben. Die Konsequenz: Nur knapp eineinhalb Jahre nach seinem Rausschmiss wurde Dieter Bohlen zurückgeholt - und nach weniger als zwei Jahren musste Senderchef Tewes seinen Posten wieder räumen. Ein weiterer Tiefschlag war der gescheiterte Retro-Boom, der kurzzeitig  "Die 100.000 Mark Show" und  "Der Preis ist heiß" zurückbrachte, die aber letztendlich nicht bei den Zuschauern verfingen.

Die bittere Erkenntnis: Wer RTL einschaltet, erwartet kein anspruchsvolles Programm mehr - und alle anderen Zuschauer sind bereits längst abgewandert. Nach so vielen Jahren der Gewöhnung der Zuschauer an Trash, wird man die Geister, die man rief, eben nicht mehr los. Seitdem läuft bei RTL wieder alles nach dem Motto "business as usual". Lieber werden 20 Jahre alte Formate, die ihren Zenit längst überschritten haben, mit mittelmäßigen Quoten immer weiter fortgeführt, als etwas Neues mit ungewissem Ausgang zu wagen. Und so ist auch 2024 kein Ende von "DSDS", Dschungelcamp, "Bauer sucht Frau" und Co. in Sicht.

Es ist nicht alles schlecht

Um auf einer versöhnlichen Note zu enden: Natürlich hat auch das heutige RTL ein paar Formate, die das restliche Programm aufwerten, etwa die Dauerbrenner  "Wer wird Millionär?",  "Die ultimative Chart Show",  "Denn sie wissen nicht, was passiert" oder der gelungene Neustart  "Die Verräter".

Nicht zuletzt wurde Ende 2023 die Fortsetzung  "Neue Geschichten vom Pumuckl" veröffentlicht, deren Qualität aber weniger RTL als vielmehr dem wunderbaren Autoren- und Produzententeam der NEUESUPER zu verdanken ist. Von diesen wenigen Ausnahmen abgesehen ist RTL für mich aber längst zu einem Sender geworden, den ich vorwiegend nur noch aus sicherer Distanz als Zaungast beobachte.